Das Loslass-Tagebuch – jeden Tag mit kleinen Dingen loslassen üben: Wir sind einfach nicht besonders scharf auf Änderungen. Die Komfortzone ist doch ganz gemütlich so, wie es gerade ist. Neues und damit ja auch Unbekanntes macht uns oftmals Angst. Viele unserer Patienten beim Heilpraktiker für Psychotherapie verwenden eins der beiden Wörter: Sicherheit oder Unsicherheit. Sie wünschen sich Sicherheit oder haben Angst vor Unsicherheit. Das gilt für den Körper, für andere Menschen, aber auch ganz generell für die Lebenssituation. Und die gewohnten Dinge um uns herum helfen uns dabei, uns wohlzufühlen.
Loslassen üben
Aber dann kommt doch eine Änderung. Man muss umziehen, sich einen neuen Job suchen, weil der jetzige einfach nicht das Richtige ist, oder es stirbt ein lieber Mensch. Und dann heißt es loslassen. Ich schaffe es einfach nicht loszulassen, aber ich weiß, dass ich das sollte. Nur wie macht man das? So oder ähnlich könnte das Gespräch über Sicherheit weitergehen. Wenn das nicht gleich klappt, ist das Versagen? Man muss sich dann auf etwas Neues einlassen. Zulassen, dass man eben noch nicht weiß, was kommt. Und das kann man üben. Jeden Tag eine Kleinigkeit loslassen. Dann funktioniert es auch mit größeren Entscheidungen.
Das Loslass-Tagebuch
Wenn ein Tag zu Ende gegangen ist, kann man sich mal kurz hinsetzen und überlegen, was man heute losgelassen hat. Vielleicht war das etwas, das man kochen wollte. Aber im Kühlschrank hat etwas gefehlt, und man hatte dann eine andere gute Idee für ein leckeres Essen. Den Gedanken an das erste Essen loslassen. Die neue Idee zulassen.
Einen Schrank aufräumen und ein ganz altes T-Shirt endlich raustragen zur Mülltonne. Wer das schon einmal getan hat, der weiß, wie erleichtert man sich fühlen kann, wenn etwas ein Ende findet.
Ein Loslass-Tagebuch kann Spaß machen und hierbei helfen. Es sollte zwei Spalten haben, wie ein Vokabelheft aus der Schulzeit. In die linke Spalte schreibt man, was man losgelassen hat. In der rechten wird das Gefühl festgehalten.
Vielleicht steht da nur ein Wort wie „Zufriedenheit“ oder „erleichtert, dass der alte Fetzen endlich weg ist“.
Und dann Größeres loslassen üben
Das Dirigieren für den Chor hat schon länger keinen richtigen Spaß mehr gemacht. Jetzt wird verkündet, dass man nur noch singen möchte. Uff, jetzt ist es raus. Nur noch hingehen, nicht mehr planen, was gesungen werden soll. Plötzlich ist wieder Energie für etwas anderes da. Neugierig sein, was jetzt kommt. Dieses Mal steht im Loslass-Tagebuch in der rechten Spalte vielleicht ein Sammelsurium von neuen Ideen. Aber man muss sich ja nicht gleich festlegen.
Sich nach 20 Jahren von einem alten Fahrrad trennen. Das hat immer gute Dienste geleistet und es ist auch ein bisschen traurig, aber die Reparatur wäre fast so teuer wie ein neues. Dann steht in der rechten Spalte vielleicht „danke, liebes Fahrrad, du hast Spaß gemacht“.
Oder links steht „ich versuche nicht mehr, mich mit C. zu einem Mittagessen zu verabreden, das klappt sowieso nicht“ und rechts steht „ich habe viele Freunde, mit denen Verabredungen ganz leicht sind“ und ein Smiley daneben.
Ich müsste mal wieder, könnte doch, sollte eigentlich
Auch Gedanken kann man loslassen. Besonders gute Kandidaten sind die, die einen Konjunktiv wie müsste, sollte, könnte beinhalten. Ich müsste nochmal im Internet nach einem neuen Yogakurs suchen. Aber irgendwie kommt das nicht in Gang, und jetzt habe ich auch gar keine Lust mehr. So steht es in der linken Spalte im Loslass-Tagebuch. Rechts daneben steht etwas von Spazierengehen, nicht nur einmal in der Woche, sondern zwei- bis dreimal, kurz, aber mit offenen Augen. Wie schön, dass ich kein Yoga mehr will, jetzt sehe ich jedes Mal Blumen in den Gärten, auf den Wiesen, am Wegesrand. Und ein kleines Blümchen ist schnell daneben gemalt.
Loslass-Routine
Wer so mit kleinen oder mittleren Dingen oder Gedanken das Loslassen übt, hat irgendwann eine Routine gefunden und das Sich-Trennen ist gar nicht mehr so schwer. Keine Angst, Nützliches wirft man deswegen noch lange nicht weg. Und die lieben Menschen bleiben auch weiter Freunde. Aber die Angst, vor dem, was kommt, hat sich bestimmt in Neugier oder Freude auf Neues gewandelt. Denn wo eine Tür zugeht, kann eine andere aufgehen und etwas Neues kommen. Und vielleicht klappt es dann auch, zuzulassen, das etwas Großes sich ändert.
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Dieser Beitrag wurde von Dr. rer. nat. Bettina Klingner verfasst. Sie ist Dozentin für die Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie an der Deutschen Heilpraktikerschule Aschaffenburg.
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