Wegbereiterinnen der Psychologie und Psychotherapie – Teil 5: Marsha Linehan: In diesem Beitrag aus unserer Reihe Wegbereiterin der Psychologie und Psychotherapie stellen wir Ihnen Marsha Marie Linehan (1943) vor. Sie ist Begründerin der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT).
Marsha Linehan
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind wie Menschen mit Verbrennungen dritten Grades über 90 Prozent ihres Körpers. Ohne eine schützende emotionale Haut empfinden sie schon bei der kleinsten Berührung oder Bewegung große Qualen.
Marsha Linehan
„Bist du eine von uns?“ – diese Frage stellte einst eine Klientin der Psychotherapeutin Marsha Linehan. Sie erklärte, wie viel Hoffnung es Betroffenen geben würde, wenn Linehan selbst dazugehöre. Marsha antwortete mit: „Ja!“ Dieser mutige Moment, ihre eigene Betroffenheit offenzulegen, wurde zu einem Wendepunkt – nicht nur für sie selbst, sondern für viele Menschen weltweit.
Lange Zeit sprach sie jedoch nicht öffentlich über ihre Vergangenheit, aus Sorge, ihre wissenschaftliche Laufbahn könnte darunter leiden. Gerade das zeigt, welches Potenzial in uns allen steckt, wenn wir an uns glauben – und etwas finden, das uns Kraft gibt. Für Marsha Linehan waren das u. a. ihr Glaube an Gott, ihre Spiritualität, ihre Entschlossenheit, ihr Durchhaltevermögen und eine tiefempfundene Empathie für andere.
Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr Therapie auch scheitern kann – und machte es sich zur Aufgabe, etwas zu entwickeln, das wirklich hilft. Besonders für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Die Anfänge
Marsha Linehan wurde am 5. Mai 1943 als drittes von sechs Kindern in einer katholischen Familie in Tulsa, Oklahoma geboren. Der Vater arbeitete in der Ölindustrie, die Mutter war Hausfrau. Nach außen wirkte die Familie stabil und gut situiert – doch Marsha fühlte früh, dass sie nicht in dieses Bild passte.
In der High School galt sie als selbstbewusst und beliebt, bis sich gegen Ende der Schulzeit schwere psychische Symptome entwickelten. Sie litt unter starken Kopfschmerzen, zog sich zurück und fühlte sich zunehmend fremd in sich selbst.
Mit 18 Jahren wurde sie in das Institute of Living in Hartford, Connecticut eingewiesen, wo sie über zwei Jahre in einer Abteilung für schwer erkrankte Patienten blieb. Sie erhielt dort starke Medikamente und Elektrokrampftherapien – mit weitreichenden Nebenwirkungen: Sie verlor Teile ihres Erinnerungsvermögens und auch die Fähigkeit, Klavier zu spielen.
Verschiedene Diagnosen wurden gestellt – von Schizophrenie bis Depression – doch keine Behandlung brachte nachhaltige Besserung. In ihrem Buch „Building a Life Worth Living“ beschreibt sie diese Zeit als „einen Abstieg in die Hölle“.
Gegen Ende ihres Aufenthalts versprach sie Gott: Wenn sie es schaffen würde, sich selbst aus dieser Hölle zu befreien, würde sie ihr Leben der Aufgabe widmen, auch anderen diesen Ausweg zu ermöglichen. Ein Versprechen, das sie ernst nahm – und bis heute einlöst.
Auf dem Weg zur Psychologin
Nach ihrer Entlassung begann sie, sich Schritt für Schritt zurück ins Leben zu kämpfen. Sie holte verpasste Schulabschlüsse nach und begann ein Psychologiestudium – zunächst in Teilzeit, später dank einer Erbschaft in Vollzeit. 1968 schloss sie mit einem Bachelor of Arts ab, 1970 folgte der Master und 1971 der Doktortitel in Psychologie an der Loyola University Chicago.
Danach arbeitete sie an der Stony Brook University in New York, wo sie sich intensiv mit kognitiver Verhaltenstherapie beschäftigte. 1977 erhielt sie eine Stelle an der University of Washington in Seattle – eine große Chance, auch wenn ihre Methoden zunächst als unkonventionell galten.
Marsha Linehan galt als konsequent, manchmal kompromisslos und sie traf viele Entscheidungen unabhängig. Das führte gelegentlich zu Konflikten, auch mit Vorgesetzten. Doch ihre Entschlossenheit überzeugte – und ihre Vision begann Form anzunehmen.
In den 1980er-Jahren entwickelte sie die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) – eine innovative Methode zur Behandlung psychischer Erkrankungen, insbesondere für Menschen mit starker emotionaler Instabilität und Suizidalität. 1989 wurde sie ordentliche Professorin mit eigenem Lehrstuhl. Ihr zentrales Anliegen blieb: hochsuizidalen Menschen eine echte Chance auf Heilung zu geben.
Was ist jetzt eigentlich DBT genau?
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie basiert auf dem Grundgedanken, Menschen mit Wertschätzung zu begegnen – und sich sowohl an ihren Bedürfnissen als auch an ihren Fähigkeiten zu orientieren.
Vier zentrale Bestandteile der DBT
- Einzeltherapie: Individuelle Probleme und Muster werden analysiert. Ziel ist es, neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln und sich selbst in belastenden Situationen besser steuern zu können.
- Gruppentraining (Skills-Gruppe): Hier erlernen Patienten praktische Fähigkeiten in den Bereichen Achtsamkeit, Emotionsregulation, zwischenmenschlicher Umgang und Stresstoleranz.
- Telefoncoaching: In akuten Krisensituationen erhalten Patienten kurzfristige Unterstützung, um das Gelernte praktisch umzusetzen.
- Therapeuten-Supervision: Das Behandlungsteam reflektiert regelmäßig gemeinsam, um die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.
Die Grundprinzipien
- Dialektik: Gegensätze erkennen und verbinden. Linehan beschreibt: „Die dialektisch-behaviorale Therapie spiegelt die Spannung zwischen dem Streben nach Veränderung und der Förderung von Akzeptanz wider.“
- Akzeptanz und Veränderung: Die Realität liebevoll annehmen – und dennoch aktiv daran arbeiten, sie zu verbessern.
- Achtsamkeit: Den Moment bewusst wahrnehmen, ohne ihn zu bewerten.
- Emotionsregulation: Gefühle verstehen, benennen und so regulieren lernen, dass sie nicht impulsiv überhandnehmen.
- Stresstoleranz: Strategien entwickeln, um auch unter Druck handlungsfähig zu bleiben. Ein bewährtes Hilfsmittel ist hier z. der individuelle „Notfallkoffer“.
- Zwischenmenschliche Fertigkeiten: Beziehungen stärken, Bedürfnisse klarer kommunizieren und Konflikte konstruktiv lösen.
Diese Prinzipien werden innerhalb der DBT kontinuierlich trainiert. Einige davon erlernte Marsha Linehan selbst während ihrer Aufenthalte bei dem Benediktinermönch und Zen-Lehrer Willigis Jäger. Später wurde sie selbst zur Zen-Meisterin ernannt.
Ein Leben, das Hoffnung schenkt
Marsha Linehan hat es geschafft, ihr Wissen, ihre Spiritualität, ihren Glauben und ihre persönlichen Erfahrungen in eine Methode zu verwandeln, die weltweit Menschen hilft. Die DBT zeigt: Veränderung ist möglich. Selbst dann, wenn man den Weg aus der Hölle kaum mehr für denkbar hält.
Quellen:
- https://beruhmte-zitate.de/autoren/marsha-m-linehan/
- https://www.therapie.de/psyche/info/ratgeber/psychotherapie-buecher/die-memoiren-von-marsha-linehan/
- https://www-psychologytoday-com.translate.goog/us/articles/201912/how-marsha-linehan-developed-the-central-feature-dialectical-behavior-therapy?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sge
- https://counselingcentergroup-com.translate.goog/marsha-linehan/?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sge#:~:text=and%20complex%20disorders.-,Personal%20Struggles,borderline%20personality%20disorder%20(BPD)
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Dieser Beitrag wurde von Katharina Scholz, Dozentin für die Ausbildung Heilpraktiker Psychotherapie an der Deutschen Heilpraktikerschule Leipzig, verfasst.