Sprechstunde bei Dr. Freud: Der leise Abschied

Sprechstunde bei Dr. Freud: Der leise Abschied

Der leise Abschied (Finale der Beitragsreihe): Es ist der Morgen des 4. Juni 1938. Freud steht allein in seinen Behandlungsräumen. 47 Jahre verbrachte er hier in der Wiener Berggasse 19. Nun bleibt ihm nur noch ein kurzer Moment, um auf sein Leben und Wirken hier zurückzublicken.

Niemals hätte er gedacht, dass er sein geliebtes Wien verlassen muss. Doch, nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernahmen, hat sich vieles für die Juden geändert. Sogar als im Mai 1933 seine Werke der Bücherverbrennung zum Opfer fielen, unterschätze er die Gefahr, die von Hitler ausging. Zunächst nahm er an, dass er und seine Familie in Wien vor den Nazis geschützt seien, aber nach dem Einmarsch der deutschen Truppen und dem Verhör seiner Tochter Anna im März 1938 durch die Gestapo, war er davon überzeugt, das Land verlassen zu müssen.

Auch wenn er sich eher als Atheist gesehen hat und eine religionskritische Einstellung hatte, so fühlte er sich doch Zeit seines Lebens als Jude und besann sich in diesen schweren Zeiten auf die jüdische Tradition. Schließlich wird er immer der Sohn jüdischer Eltern aus Freiburg in Mähren bleiben.

Seine Eltern gaben ihn damals zur Geburt den Namen Sigismund Schlomo Freud. Er hasste diesen Namen schon als Kind und ist heute noch froh darüber, ihn im Jahre 1877 in Sigmund geändert zu haben. Mit dem sozialen Abstieg der sonst wohlhabenden Familie durch die Wirtschaftskrise 1857 wohnten sie für ein Jahr in Leipzig. Da sein Vater Jacob als Wollhändler keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in der Handelsmetropole erhielt, zog die Familie schließlich nach Wien.

Ach, wie sehr genoss er seine damalige Gymnasial- und Studienzeit. In sieben Fächern erreichte er die Bestnote: „Vorzüglich“. Besonders spannend fand er die Sophokles-Tragödie „König Ödipus“. Im Anschluss an seine Schulzeit studierte er Medizin, promovierte zum Doktor der Medizin, befasste sich eingehend mit der Pharmakologie des Stimulanz Kokain, führte Selbstversuche durch und nutze über Jahre die therapeutische Wirkung des Kokain, ohne selbst davon abhängig zu werden. Dies gelang ihm beim Rauchen nicht.

Nach vierjähriger Verlobungszeit durfte er 1886 endlich seine große Liebe Martha Bernays heiraten. Gemeinsam hatten sie sechs Kinder: Mathilde, Jean-Martin, Oliver, Ernst, Sophie und Anna. Wobei er seinen Söhnen Vornamen historischer Persönlichkeiten gab. Allen voran Jean-Martin. Er wurde nach seinem berühmtesten Lehrer, dem Pariser Hysteriespezialisten Jean-Martin Charcot benannt. Freud studierte bei ihm und es war Charcots klinischer Einsatz der Hypnose bei dem Versuch, eine organische Ursache für die Hysterie herauszufinden, die Freuds Interesse an den psychischen Ursachen der Neurosen weckte.

Freud wandte sich schließlich von der Hypnose ab und entwickelte eine Alternativmethode, um in unbewusste Bereiche vorzudringen. Mittels freier Assoziation und Traumdeutung versuchte er nun die menschliche Struktur besser zu verstehen und zu behandeln. Die Psychoanalyse war geboren.

In den kommenden Jahren versammelten sich zahlreiche andere Kollegen und Schüler wie Alfred Adler, Carl Gustav Jung und Sándor Ferenczi um ihn, um die neue Methode zu erlernen und zu diskutieren. Aus der „Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft“ ging 1908 die Wiener Psychoanalytische Vereinigung hervor.

Sein anfänglich patriotischer Enthusiasmus beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges wandelte sich im Kriegsverlauf in Ernüchterung und Resignation. Vieles veränderte sich während der Kriegsjahre. So auch die kollegiale Beziehung zu Carl Gustav Jung. Freud wollte in Jung seinen „Kronprinzen“ sehen, jedoch kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden, woraufhin sie die „Jungianer“ von den „Freudianern“ abspalteten.

Auf dem Höhepunkt seines Schaffens musste er den Tod seines Lieblingskindes Sophie verkraften. Sein Sonntagskind verstarb 1920 an der Spanischen Grippe. Erst später erkennt er, welch tiefe Trauer und Verzweiflung dieser Verlust in ihm ausgelöst hatte. Zu seinen Söhnen pflegte er ein eher unterkühltes und distanziertes Verhältnis, aber Anna Freud, seiner jüngste Tochter, begegnete er stets respektvoll und liebevoll. Sie wird auch diejenige sein, die das Erbe des Vaters über seinen Tod hinaus aufrechterhalten und weiterentwickeln wird.

Zwei Jahre später erkrankt er an Gaumenkrebs. Auch nachdem ihm sein rechter Oberkiefer und Gaumen entfernt werden, raucht er weiterhin seine 20 Zigaretten pro Tag.

Seine Hündin Jofi erhebt sich mühsam von ihrem geliebten Ohrensessel und signalisiert damit Freud, langsam Abschied zu nehmen. Und es wird ein Abschied für immer werden.

Ein Erbe für die Nachwelt

Am 4. Juni 1938 wandert Freud mit seiner Familie und der Haushälterin Paula Fichtl über Paris nach London aus. Nach gut einem Jahr im Exil war er so vom Krebs gezeichnet, dass sein Arzt Max Schur ihm, auf eigenen Wunsch hin, eine tödliche Dosis Morphium verabreicht.

Sigmund Freud, der „Vater der Psychoanalyse“ hat unbestritten ein Erbe für die Nachwelt hinterlassen und auch heute noch haben seine Schriften eine hohe Bedeutung und Einfluss auf all die nachkommenden Generationen von Psychologen und Heilpraktiker für Psychotherapie.

Wo Es war soll Ich werden

Diese Geschichte ist Teil der Beitragsreihe Sprechstunde bei Dr. Freud. Hier werden psychische Störungen in einem fiktionalen Kontext vorgestellt. Die Texte erheben keinen Anspruch auf historische Korrektheit.

Teil 1: Die traurige Traurigkeit | Teil 2: Die nimmersatte Esssucht | Teil 3: Der einsame Sammler | Teil 4: Die heimliche Krankheit | Teil 5: Die gesunde Angst | Teil 6: Die theatralische Hysterie | Teil 7: Die vergessliche Erinnerung

Hier finden Sie alle Informationen zu unseren Ausbildungen zum Heilpraktiker für Psychotherapie:

Dieser Beitrag wurde von Enikö Orbán, Geschäftsbereichsleiterin Fachbereich Psychotherapie der Deutschen Heilpraktikerschule Leipzig, verfasst.

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