Mikrotrauma – Belastungen für die Seele: „Stell dich nicht so an!“ „Das kannst du doch eh nicht.“ „Was weißt du schon?“ „Reiß dich mal zusammen!“ „Sei nicht so empfindlich!“ – Wir erleben es täglich. Und es fühlt sich an wie kleine Nadelstiche. Es tut im Herzen weh, macht traurig und zieht runter. Und doch gehen wir meist darüber hinweg und sprechen nicht aus, dass wir uns durch einen solchen Umgang verletzt fühlen. Mit der Zeit wird ein solcher Umgang vielleicht sogar als „normal“ angesehen. Was oft nicht bedacht wird, ist, dass durch solche Botschaften das Selbstwertgefühl erheblich geschwächt wird und sich meist unbewusst Gefühle von Resignation und Hilflosigkeit einstellen, die unsere seelische Abwehrkraft schwächen.
Oft kommen dann Patienten in die Heilpraktikerpraxis Psychotherapie mit Erschöpfung, depressiven Verstimmungen oder Angst- und Panikgefühlen und stellen sich die Frage: „Was stimmt mit mir nicht?“. Hier ist es wichtig, Sensibilität dafür zu schaffen, welchen Botschaften sie in ihrem Umfeld ausgesetzt sind und wie sie wieder persönliche Stärke entwickeln können.
Was ist ein Mikrotrauma?
Diese kleinen „Angriffe auf die Seele“ werden auch Mikrotraumata genannt. Ein Trauma ist eine seelische Verletzung, ein Ereignis oder eine Situation, die innerlich nicht verarbeitet werden kann.
Als traumatisierend werden schwere Unfälle, Erkrankungen und Naturkatastrophen aber auch Erfahrungen erheblicher psychischer oder körperlicher Gewalt sowie Verlust und Vernachlässigung bezeichnet.
Bei Mikrotraumata handelt es sich dagegen um kumulative Verletzungen wie Herabsetzungen, Demütigungen oder negative Bewertungen, die durch ihre Wiederholung das Selbstwertgefühl kontinuierlich untergraben und Selbstzweifel säen.
Diese Art von Erfahrungen können in jedem Lebensalter vorkommen. Es hängt meist mit der Art zusammen, wie mit uns gesprochen wird, d. h. Mikrotraumata können stark bindungstraumatisierend wirken. Die größte Wirkung wird erzielt, wenn diese kleinen Verletzungen durch Menschen resultieren, die uns emotional nahestehen und die wir als wichtig in unserem Leben ansehen.
Mikrotraumata können:
- am Arbeitsplatz oder in der Schule, z. B. durch Mobbing oder Ignoranz entstehen,
- in der Familie, wenn Kinder angeschrien oder gekränkt werden.
- Durch Kontrolle, Schweigen, Abwertungen oder Liebesentzug in Partnerschaften
- oder wenn in Freundschaften der andere einfach „vergessen“ wird. Wenn Witze auf unsere Kosten gehen, versteckt sich dahinter oft ein Angriff auf unsere Kompetenz und Integrität – und wie oft wird dann gesagt: „Du kannst wohl keinen Spaß verstehen.“
Was können Folgen von einem Mikrotrauma sein?
Die Folgen können Schuldgefühle, Wut, Angst und Scham bei demjenigen sein, der verletzt wurde. Sie hinterlassen oft die Frage: „Was habe ich falsch gemacht?“ Und die Bemühungen, „alles richtig zu machen“, werden erhöht.
Wutausbrüche, Geschrei, destruktive Kritik, herablassende Kommentare, Ironie, Einschüchterungen und Vorwürfe – all dies kann seelisch tief beeinflussen. Doch können Worte wirklich krank machen?
„Ja,“ sagt die Philosophin Petra Gehring und führt in ihrem Buch „Körperkraft der Sprache“ weiter aus: „Worte können treffen wie ein Faustschlag.“ Dabei verletze nicht die Wortbedeutung selbst, sondern mehr der Sprechakt, sodass auch ganz harmlose Worte eine Wirkung haben, die einem körperlichen Angriff gleichen. Dann wird Sprache zum Instrument, den anderen „treffen“ zu wollen. Diese Spuren sind nicht sichtbar, doch haben Sie Wirkung auf Körper und Seele.
Welche Symptome verursachen Mikrotraumata?
Die amerikanische Psychologin Francine Shapiro entwickelte im Rahmen ihrer EMDR-Methode ein Traumamodell, das auch weniger existenzbedrohenden Ereignissen eine Wirkung zusprach. Sie erkannte, dass solche Wunden zu ähnlichen Symptomen wie bei der posttraumatischen Belastungsstörung führen. Diese zeichnet sich u. a. durch:
- Angst,
- Hilflosigkeit,
- sich aufdrängende Gedanken (innere Monologe),
- Übererregung,
- Störungen des vegetativen Nervensystems,
- Überwachheit (Hyperarousal)
- oder Schlafstörungen aus.
Weiterhin können chronische Verspannungen, Erschöpfung, Schreckhaftigkeit oder ein grundsätzlich gemindertes Lebensgefühl Wegweiser sein.
Voraussetzungen für Shapiro sind, dass:
- die seelischen Verletzungen wiederholt stattfinden
- und die Betroffenen keine Möglichkeit haben, aus dem Beziehungsmodell des anderen auszusteigen.
Eine Ursache hierfür findet man in dem durch die Kumulation bzw. Wiederholung erzeugten Dauerstress als Notfallreaktion. Unser Immunsystem ist somit im Dauereinsatz. Um diese „Bedrohung“ abzuwehren, mobilisiert der Körper seine Energiereserven. Stresssituationen – insbesondere, wenn sie in der Kindheit vorkommen – können negative Effekte auf Stoffwechsel, Gehirn und Immunsystem haben. Diese meist früh erworbene Vulnerabilität (Verletzlichkeit) führt zu einer erhöhten Neigung zu psychischen und körperlichen Erkrankungen wie z. B. Angststörungen, Depressionen, Essstörungen, Suchterkrankungen etc.
Wie können wir uns davor schützen?
Mikrotraumata bedeuten einen beständigen Angriff auf unser Selbstwerterleben und unser Gefühl der inneren Sicherheit. Ein gesundes Selbstwertgefühl und ein positives Selbstbild sind jedoch ein Schlüssel für die Gesundheit. Deshalb ist es wichtig, vor allem sich selbst zu schützen und eine gesunde Widerstandskraft aufzubauen.
- Stabilität in Denken und Handeln, z. B. durch eine klare Alltagsstruktur oder bewusste Zeiten für Ruhe und Entspannung können helfen. Sich nach innen zu richten und auf sich zu hören, zu fühlen, was Freude macht, sind wichtige Schutzfaktoren.
- Sich Menschen zuzuwenden, die guttun, mit denen man auch einmal gemeinsam lachen kann, ist sehr hilfreich.
- Orte, wie das eigene Zuhause, der Garten oder die Natur können Ruhe und innere Sicherheit vermitteln.
- Auch ein Perspektivwechsel auf eigene Begabungen und Fähigkeiten – also auf das, was im Alltag positiv bewältigt wird – erhöht automatisch das Gefühl von Selbstkontrolle für das eigene Leben. Bereits kleine Veränderungen dieser Art können oft wichtige Impulse geben.
- In einer Psychotherapie kann noch ein Schritt weitergegangen werden. Hier bietet sich Raum, behutsam Zusammenhänge, die oft aus der Kindheit resultieren, Anforderungen und Erwartungen zu klären, um mit einem gesunden Selbstvertrauen neu zu starten.
Buchtipp:
Sonja Unger, Mikrotrauma. Wenn kleine seelische Verletzungen krank machen. Belastungen meistern – innere Stärken wiederentdecken, Humboldt-Verlag, 2024
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Dieser Beitrag wurde von Andrea Maskow verfasst. Sie ist Inhaberin der Deutschen Heilpraktikerschule Wiesbaden.