Kindheitsbewältigung in der Psychotherapie ‒ warum die Betrachtung der Kindheit so wichtig ist

Kindheitsbewältigung in der Psychotherapie ‒ warum die Betrachtung der Kindheit so wichtig ist

Kindheitsbewältigung im psychotherapeutischen Prozess ‒ warum die Betrachtung der Kindheit so wichtig ist: Verstehe ich mich besser, wenn ich auch meine Lebensgeschichte kenne? Immer wieder spielt im psychotherapeutischen Prozess die Kindheit eine Rolle, da sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit vieles im Hier und Jetzt ableitet. Vorab gesagt – Kindheitserfahrungen können nicht rückgängig gemacht werden. Auch bleibt das ein oder andere unberührt und verschlossen. Doch das Verständnis für sich, der Umgang mit sich selbst und eine heilsame Selbstzuwendung finden durch das Verständnis, wie es war, neue Wege.

Wie Kindheitserfahrungen unser Erleben prägen

Hirnforschung und Psychologie sind sich einig, dass die Umwelt einen prägenden Einfluss auf die psychischen und organischen Strukturen des Kindes hat und dass Erfahrungen aus der Kindheit das Verhalten und innere Erleben des Erwachsenen maßgeblich bestimmen.

Studien belegen, dass traumatische Erfahrungen im Kindesalter im späteren Leben das Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen wie Depressionen, Diabetes oder Krebs erhöhen. Belastende Erfahrungen können krank machen.

Kindheitsbewältigung ‒ warum die Aufarbeitung oft Angst macht

Viele Klienten scheuen in der Therapie eine solche Aufarbeitung ihrer Kindheit. Denn das Erlebte soll aus einer tiefen Angst heraus unbewusst bleiben. Aus der „emotionalen Perspektive der unbewältigten Kindheit“ werden seelische Verletzungen als scheinbar unüberwindbar angesehen. Dieser innere Wahrnehmungskompass orientiert sich an einem alten Koordinatensystem. Glaubenssätze und Handlungsmuster aus der Vergangenheit bestimmen in Folge dieses Koordinatensystem, so dass emotionale Erfahrungen aus der Vergangenheit in der Gegenwart wiederholend reproduziert werden.

Welche Erfahrungen besonders verletzend wirken

Zu bewältigen sind in der Regel Erfahrungen, die mit Abweisung, Unverständnis, emotionaler Kälte, wenig Feinfühligkeit, emotionaler Vernachlässigung, Missbrauch oder Manipulation einhergehen. Außerdem verursachen Erfahrungen, die das Umfeld betreffen, frühe Wunden. Dazu gehören unter anderem Scheidung, Trennung, Krankheit, chronische Familienkonflikte, Mobbing, Isolation und Einsamkeit .

Entwicklung und Reifung entstehen insbesondere im Kindesalter durch Ansprache, Austausch, Kontakt und Beziehung. Wie mit einem Kind kommuniziert wird, ob anerkennend, zugewandt und liebevoll oder desinteressiert und unaufmerksam – das bestimmt sein späteres Selbstwertgefühl. Kinder passen sich an, um geliebt zu werden, auch um den Preis des Selbstverlusts. Fehlt eine wachstumsfördernde Atmosphäre, so können psychische Belastungen, Traumen oder psychische Störungen entstehen.

Neurobiologische Grundlagen früher Prägung

Warum ist die Kindheit so ausschlaggebend? In den verschiedenen Phasen der frühkindlichen Entwicklung gibt es neurobiologisch gesehen bestimmte Zeitfenster, in denen das Gehirn äußerst formbar ist. Dabei spielt Stress eine wichtige Rolle für eine mögliche spätere Krankheitsdisposition. Kinder haben noch keine voll ausgebildete Ich-Abwehr, so dass Einflüsse, gegen die sie sich nicht wehren können, tief verinnerlicht werden.

Bindung, Selbstwert und die Bedeutung emotionaler Resonanz

Der Wunsch nach Zuwendung, Aufmerksamkeit und Liebe sind für das Kind ein notwendiges Beziehungs- und Motivationssystem, um zu wachsen und zu reifen. Dieses Bindungsverhalten ist vor allem für die Überwindung von Kummer und in Stresssituationen wichtig. Abgewiesene Bindungswünsche verstärken hingegen das bindungssuchende Verhalten, lassen das Kind innerlich isoliert und gestresst zurück. Dadurch wird das Selbstwertgefühl geschwächt.

Blick- und Körperkontakt geben Sicherheit, schwächen das bindungssuchende Verhalten ab und führen zu einem Gefühl der Sicherheit, der Selbstwert wird gestärkt. Resilienz entsteht, und es kann sich eine gesunde Ich-Stärke als seelisches Schutzsystem entwickeln.

Folgen gestörter Reifung im Erwachsenenalter

Somit können psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter auch als fehlende bzw. gehemmte Reifungsvorgänge der Persönlichkeit angesehen werden, die in einer Art Dauerstress steht. So handeln zum Beispiel Despressionen auch davon, dass der Mensch sich innerlich in seiner Werthaftigkeit verletzt fühlt und immer wieder auf diese Weise seine spezifisch depressiven Einbrüche erfährt. Depressive Menschen sind für Kränkungen besonders empfänglich und betrachten sich oft als unzulänglich und wenig „liebeswert“. Eine Folge dessen, was in der frühen Kindheit oft an Beziehungserfahrungen erworben wurde.

Anpassungsdruck und Verlust der eigenen Wahrnehmung

Oft müssen sich Kinder schon früh den Erwartungen des Außen anpassen. Das verändert die eigene innere Wahrnehmung und das Verhalten des Kindes, da es auf die Anerkennung als Wachstumsfaktor angewiesen ist. Das Kind bemerkt in seiner abhängigen Position die Erfolglosigkeit seines Unterfangens, stellt unbewusst die eigene Wahrnehmung und die eigenen Gefühle infrage und übernimmt, um akzeptiert zu werden, die Wahrnehmung des Außen.

Die Folgen sind ein innerer Spannungszustand und Ängste, die nach der Psychoanalytikerin Karen Horney (1885‒1952) wie eine „Sprengladung im Gemüt des Menschen“ wirken. Um die Auswirkungen zu beschwichtigen, wird im Erwachsenenalter ein überangepasstes falsches Selbst entwickelt. Dadurch entstehen oft Depressionen, autoaggressives Verhalten, Angststörungen oder gar psychosomatische Erkrankungen.

Wie Kindheitsbewältigung in der Psychotherapie gelingt

Kindheitsbewältigung in der Psychotherapie hat zum Ziel, Defizite und ungelebte Empfindungen aus der Kindheit auszugleichen. Es geht dabei um eine konsequente und gleichsam liebevolle Selbstzuwendung. Das Aussprechen von Gefühlen, neue stärkende Lebensstrategien und das Erkennen eigener Bedürfnisse sind nur einige Maßnahmen, die die innere Reifung unterstützen, so dass die Vergangenheit in den Hintergrund tritt.

Oft ist es weniger das Überwinden, sondern mehr das Überwachsen der Vergangenheit durch einen inneren Reifungs- und Loslösungsprozess, der zu einem neuen Selbstwerterleben und damit zu einer reifen Haltung gegenüber dem Erlebten und sich selbst führt.

Dabei ist es wichtig:

  • den Zusammenhang zwischen Erwachsenenproblematik und Kindheitsbedingungen herzustellen.
  • passive Bedürfnisse und Abhängigkeitsbedürfnisse, die eng mit dem Wunsch nach Zärtlichkeit und Anlehnung verbunden sind, zu erkennen.
  • die innere Wahrnehmung zu fördern.
  • Autonomiebedürfnisse zu stärken.
  • eine gesunde Aggressionsverarbeitung zu erlernen.
  • Ängste neu zu beleuchten.
  • Bedürfnisse nach einem gesunden Selbstwerterleben aufzubauen.

Integration statt Verdrängung – der Weg zu einem neuen inneren Gleichgewicht

Menschen entwickeln sich durch emotionale Erfahrungen. Die Integration von Kindheitserfahrungen und damit die Kindheitsbewältigung in der Therapie hilft, sich emotional zu verstehen und zu verändern. Prägungen und Muster, die in uns angelegt sind und durch das Umfeld bestimmt wurden, können überprüft und das eigene Lebensskript neu geschrieben werden. Ambivalenzen wie Angst und Aggression, der Wunsch nach Nähe und Distanz, die in der Kindheit bereits entstanden sind, kommen in ein erwachsenes Gleichgewicht. Was nicht mehr passt, kann abgewählt, das Passende bewahrt werden. Geschieht diese innere Loslösung, so werden Selbstausdruck und die uns innewohnende Aktivität und Selbstverantwortung wieder frei.

Hinweis: Wir sind eine Heilpraktikerschule und bieten keine Psychotherapie oder therapeutische Behandlung an. Die im Beitrag beschriebene „Kindheits­bewältigung“ ist ein theoretischer Bestandteil der Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie und kein Therapieangebot. Wer therapeutische Hilfe sucht, wendet sich bitte an eine entsprechend qualifizierte Fachperson.

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Dieser Beitrag wurde von Andrea Maskow verfasst. Sie ist Inhaberin der Deutschen Heilpraktikerschule Wiesbaden.