Geschlechterrollen – eine Betrachtung innerhalb der aktuellen Zeit

Geschlechterrollen – eine Betrachtung innerhalb der aktuellen Zeit

Geschlechterrollen – eine Betrachtung innerhalb der aktuellen Zeit: Es ist Dienstagvormittag und ich bekomme die Anfrage von einer Kollegin einen Blogbeitrag über Geschlechterrollen und Diversität zu verfassen.

Wow, super! war mein erster Gedanke, ein so wichtiges Thema. Mein zweiter Gedanke: Kann ich dem überhaupt gerecht werden? Was weiß ich eigentlich über das Thema? Was bedeutet in unserer heutigen Zeit der Begriff Geschlecht und welches Spektrum an Möglichkeiten umfasst es alles? Da es wahrscheinlich auch anderen wie mir geht, begebe ich mich mal auf die Suche und teile meine Antworten mit euch.

Unsere Gesellschaft verlangt oft eine Einordnung in männlich, weiblich oder auch seit 2018 divers. Divers gilt jedoch nur für intergeschlechtliche Menschen, was somit wieder viele andere ausschließt.

Dieses Schubladendenken wird auch dichotomes Denken genannt. Wenn etwas plötzlich nicht mehr in die Schublade passt, die wir genutzt haben, sind wir ganz überrascht. Zum Beispiel spielen wir mit einem Kind, welches eine Haarspange trägt. Viele machen die Schublade „weiblich“ auf und es fühlt sich stimmig an. Kommt nun raus, dass das Kind einen männlich assoziierten Namen trägt, ist die Verwirrung groß. Die Vorstellung, wie ein Mensch sein soll, ist sozial sehr geprägt und wird über Generationen weitergegeben, ist aber auch veränderbar.

Ich möchte diesen Blogbeitrag nutzen, um zum einen Begrifflichkeiten zu klären, welche eventuell viele schon einmal gehört haben, aber trotzdem nicht wirklich einzuordnen wissen und um zum anderen eine Person zu Wort kommen zu lassen, die bis vor Kurzem in unserer Gesellschaft gar kein wirklich sichtbares Fach im „Schrank der Geschlechter“ hatte.

Schrank der Geschlechter PNG

Im Text wird an der einen oder anderen Stelle * oder + auftauchen. Das * oder + wird stellvertretend an eine Aufzählung von Gruppen angehangen oder integriert – für Menschen, deren Geschlecht entweder in der Aufzählung nicht vorkommt oder die sich in keinem der bisher vorhandenen Begriffe wiederfinden.

Fangen wir mit den Begrifflichkeiten an:

Geschlecht

Der Begriff Geschlecht wird allgemein biologisch und auch sozial genutzt. In den ersten 6 Wochen haben alle Embryos weibliche und männliche Geschlechtsanlagen, sind also alle intergeschlechtlich. Erst dann entwickelt sich aus biologischer Sicht eine weibliche, männliche oder intergeschlechtliche Person. Das soziale Geschlecht setzt sich aus Geschlechtsrolle und Geschlechtsidentität zusammen. Es geht darum, welche sozialen Eigenschaften, Verhalten, Interessen, Chancen, Beziehungen und/oder Erwartungen einem Geschlecht gesellschaftlich zugeordnet werden (Geschlechtsrolle) und inwieweit ich mich meinem biologischen Geschlecht überhaupt zugehörig fühle (Geschlechtsidentität).

Aus biologischer Sicht gilt eine Person als weiblich, wenn sie folgende Merkmale hat:

  • Chromosomen: XX
  • Keimdrüsen: Eierstöcke
  • Hormone: überwiegende Produktion von Östrogen
  • innere und äußere Geschlechtsmerkmale: Vulva und Vagina

Die soziale Sicht auf die weibliche Rolle ist in unserer westlichen Gesellschaft zwar nicht mehr so klar wie in der Vergangenheit, jedoch gibt es auch heute „typische weibliche“ Assoziationen: rosa, Schminken, Zeichnen, Care-Arbeit/Mutter, zärtlich, zuverlässig, nörgelnd, sentimental, …

Aus biologischer Sicht gilt eine Person als männlich, wenn sie folgende Merkmale hat:

  • Chromosomen: XY
  • Keimdrüsen: Hoden
  • Hormone: überwiegende Produktion von Testosteron
  • innere und äußere Geschlechtsmerkmale: Penis

Genau wie bei der weiblichen sozialen Rolle gibt es auch „typische männliche“ Assoziationen: blau, Lohnarbeit/Versorger, Handwerken, mutig, stark, sportlich, intelligent (logisches Denken, sachlicher Verstand, …), …

Hier wird sichtbar, dass die biologischen und sozialen Geschlechterzuschreibungen einschränken und somit Möglichkeiten wie ein Mensch sein kann, ausschließen bzw. nicht mit einbeziehen. Wir leben in einer Zeit, in der diese Vorstellungen mehr und mehr aufgebrochen und hinterfragt werden (müssen), um diesen Lebensraum an Möglichkeiten zu vergrößern und auch einfach individuell erfahrbar zu gestalten.

Wie schon erwähnt sind wir bis zur ca. 6. Woche alle intergeschlechtlich. Bei der weiteren Entwicklung eines Embryos kann es jederzeit zu einer Abzweigung kommen. Es kann also vorkommen, dass das genetische, hormonelle und sichtbare Geschlecht nicht übereinstimmen. Das heißt die Genetik einer weiblichen Person zuzuordnen ist, diese aber Hoden ausbildet oder Personen, die genetisch männlich zugeordnet werden, sich jedoch äußerlich mit den weiblichen Geschlechtsmerkmalen entwickeln. Wie die ersten 6 Wochen eines jeden Embryos zeigen, gibt es keine eindeutige Norm der Natur, welche von Anfang an festgelegt ist. Es sind fließende Übergänge und ein großes Spektrum von Möglichkeiten. So unterschiedlich wir äußerlich aussehen, so unterschiedlich sind wir auch innerlich.

Da es nach der Geburt meist zu operativen Eingriffen kam, um die Kinder einem Geschlecht zuzuordnen, gibt es seit Mai 2021 nun eine neue gesetzliche Regelung (Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung), welche geschlechtsverändernde operative Eingriffe an Kindern, die noch nicht einwilligungsfähig sind, stark einschränkt und ohne medizinischen Grund verbietet. Dies soll dem Menschen die Möglichkeit geben, selbst zu gegebener Zeit zu entscheiden.

Wenn sich ein Mensch seinem biologischen, von außen zugeschriebenem Geschlecht zugehörig fühlt, wird der Begriff Cis-Frau oder Cis-Mann verwendet.

Menschen, die sich als trans* identifizieren, fühlen sich dem Geschlecht, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht oder nicht nur zugehörig. Die Selbstbezeichnungen sind dabei sehr vielfältig (transgender, transident, transsexuell, …). Trans* ist als Oberbegriff zu sehen und das * symbolisiert die verschiedenen möglichen Endungen.

Trans*Frau/trans*weiblich

Die Selbstbezeichnung Trans*Frau oder trans*weiblich nutzen meist Frauen und/oder Menschen, die sich überwiegend weiblich identifizieren und zur Geburt einem für sie nicht oder nicht nur passenden Geschlecht zugeordnet wurden.

Trans*Mann/trans*männlich

Die Selbstbezeichnung trans*Mann oder trans*männlich wird meist von Männern und/oder Menschen genutzt, die sich überwiegend männlich identifizieren und zur Geburt einem für sie nicht oder nicht nur passenden Geschlecht zugeordnet wurden.

Non-binär

Menschen, die sich nicht oder nicht nur männlich oder weiblich identifizieren, verwenden die Bezeichnung non-binär. Innerhalb dieses Begriffs gibt es verschiedenste Geschlechtsidentitäten. Manche Menschen sehen sich zwischen den Geschlechtern weiblich und männlich, manche außerhalb dieser zwei Kategorien. Bei manchen ändert sich die Geschlechtsidentität auch innerhalb eines bestimmten Zeitraumes oder einer Situation. In diesem Zusammenhang gibt es viele Untergruppen, z.B.: Agender, Bigender, Pangender, Polygender, Genderfluid und viele mehr.

Die Beschreibung folgender Begriffe ist wirklich nur ganz kurzgefasst. Eine vertiefende Beschäftigung zur Entstehung, genaueren Verwendung etc. lohnt sich alle mal.

Queer

In Deutschland wird der Begriff – queer – als Abgrenzung zur zweigeschlechtlichen, cisgeschlechtlichen und/oder heterosexuellen Gesellschaft/Norm genutzt.

FLINTA*

FLINTA* steht als Akronym für Frauen, Lesben, Inter*Personen, nicht-binäre Personen, Trans*Personen und Agender Personen. Kurz: für alle nicht-cis-männlichen Personen.

LGBTQIA+

LGBTQIA+ ist ein Akronym der englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer/Questioning, Intersexual und Asexual.

FLINTA* und LGBTQIA+ sind Begriffe, die für Gruppierungen stehen, welche auf Grund des Geschlechts/sexuelle Orientierung patriarchal diskriminiert werden. Die Bezeichnung/Bedeutung soll ihnen einen sicheren Raum ermöglichen und auch Menschen, die ebenfalls auf Grund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung marginalisiert werden, eine Zugehörigkeit ermöglichen.

Ein paar kurze Einblicke in Awas Leben & Gedanken

Ich habe Awa gebeten, ein paar Fragen zu beantworten. Zu unserer gemeinsamen Vorgeschichte möchte ich noch kurz dazu sagen: Ich habe Awa vor mehr als 10 Jahren kennengelernt. Awas biologisches Geschlecht scheint mir äußerlich weiblich und bis dato war der Name auch ein weiblich gelesener Name, somit habe ich Awa als weiblich eingeordnet (Schubladendenken), auch wenn Awa außerhalb der sichtbaren Geschlechtsmerkmale nicht „eindeutig weiblich“ auftrat. Als Awa mir dann irgendwann sagte „ich bin non-binär“ hat es sich für mich jedoch viel stimmiger angefühlt und ich persönlich wünsche mir, dass es einem „Outing“ in dieser Form gar nicht mehr bedarf.

Interview:

Wie möchtest du angesprochen werden? Welche Pronomen bevorzugst du oder ist dir das eher egal?

Mein selbstgewählter Name ist Awa. Es gibt keine Pronomen, die ich bevorzuge. Meist werde ich als Frau gelesen und mit „sie“ bezeichnet. Das ist für mich manchmal schwierig, aber in den neuen Pronomen finde ich mich auch nicht wieder. Ich wünsche mir persönlich wie gesellschaftlich Alternativen zu sie/er, aber die Vorhandenen, wie z.B xier, dey, dem, sind mir zu sperrig. Eine Möglichkeit finde ich, den Namen zu verwenden. Also Awa hat gefrühstückt, bevor Awa aus dem Haus ging. Aber es gibt für mich bisher keine gute Lösung, und so ist es einfacher, bei „sie“ zu bleiben.

Wie würdest du dich kurz beschreiben? Wer bist du?

Ich bin 39, lebe mit meinen beiden Kindern seit knapp einem Jahr wieder in Leipzig und habe nach langer beruflicher Auszeit und Elternschaft ein Fernstudium zur Online-Redakteur*in/Online-Texter*in begonnen. Ich beschäftige mich privat und hoffentlich auch bald beruflich mit Politik, Psychologie, Soziologie und Philosophie. Die Verantwortung, die ich politisch trage, indem ich die Gesellschaft aktiv mitgestalte, indem ich entscheide, welche gesellschaftlichen Bilder und Klischees ich mittrage oder eben gerade nicht, ist für mich ein wichtiger Teil meines Lebens.

Wie fühlt es sich für dich an nicht-binär zu sein? Wie kann ich mir das vorstellen?

Non-binär zu sein, ist für mich eine Erleichterung, weil es endlich eine Bezeichnung gibt, eine Sichtbarkeit, in der ich mich wirklich wiederfinde. Für mich war die weibliche Zuordnung immer nicht ganz richtig. Da gab es Dinge, die ich sein sollte, aber nicht war, und Dinge, die ich war, aber nicht sein sollte. Ich bin eben auch nicht männlich. Ich bin ein Mensch mit Eigenschaften, die die Gesellschaft in männliche und weibliche Eigenschaften teilt. Das macht in meinen Augen keinen Sinn und hat auf mich eben nie richtig gepasst. Mit meinem Körper bin ich aber einverstanden, nur nicht damit, was die Gesellschaft gerne damit verbinden möchte.

Seit wann ist dir bewusst, dass du nicht-binär bist?

Seit ich das Wort verstanden habe. Es war aber ein Prozess, weil ich selbst anfangs nicht durchgestiegen bin in den ganzen möglichen Selbstbezeichnungen. So geht es, glaube ich, vielen Menschen, dass sie merken, dass da plötzlich Bezeichnungen sind, die sie besser beschreiben als Frau/Mann. Aber es ist ein Arbeitsprozess, diese Bezeichnungen kennenzulernen und die passenden zu finden und zu erkennen. Dass das binäre Frau/Mann mir nicht gerecht wird, wusste ich als Kind. Ein Wort dafür gab es einfach nicht.

Wie reagiert dein nahes/weites Umfeld darauf?

Ich habe kein Outing in dem Sinne vollzogen. Ich spreche es eigentlich oft dann an, wenn sich das Thema ergibt, das fühlt sich für mich einfach entspannter an. Bis jetzt sind die meisten Reaktionen positiv. Allerdings ist das Verständnis zu diesem Thema in weiten Teilen meiner Familie und in meinem Heimatort in Bayern eher nicht groß. Da muss ich viel erklären und fühle mich doch nicht verstanden. Ich versuche das aber zu akzeptieren und habe mit den Jahren ein Umfeld gefunden, in dem ich mich verstanden fühle.

Wie nimmst du diese gesellschaftliche Zuordnung von männlich und weiblich für dich wahr? Was löst das in dir aus?

Für mich hat es einfach nie was mit mir zu tun. Es ist ein Zwang, mit dem andere Menschen auf mich einwirken und mein Handeln beurteilen. Ich habe dann das Gefühl, dass meine bloße Existenz den Menschen Schmerzen zufügt, weil ihr Weltbild empfindlich gestört wird. Das tut natürlich auch mir weh. Da gibt es viele Stufen. Dass ich zum Beispiel als Frau gelesen werde, tut nicht an sich weh, aber wenn damit Forderungen und Beurteilungen einhergehen, kann es schlimm sein.

Es gibt dieses Vorurteil von manchen Menschen, „nur” Aufmerksamkeit zu wollen und daher diese Zuordnung – non-binär – zu nutzen? Musstest du dich auch schon mal mit diesem Vorurteil auseinandersetzen?

Jain. So direkt wurde mir das nicht gesagt, aber es gab Gespräche, da hatte ich das Gefühl, dass mein Gegenüber genau das dachte.
Die Einteilung in die beiden traditionellen Geschlechterrollen beginnt ja mit der Geburt. Für viele ist sie ein Grundpfeiler ihrer Identität und auch ihrer Beurteilung. Das gibt Sicherheit, wenn Kategorien die Welt verständlich und berechenbar machen. Wenn diese Kategorien dann nicht funktionieren, entsteht Unsicherheit und daraus manchmal Wut auf die Person, die diesen inneren Konflikt auslöst, also hier eine Person, die sagt, ich bin nicht weiblich oder männlich. Nicht-binäre Menschen sind mit dieser Wut meist schon von klein an behandelt worden. Dieser Gedanke, dass diese Aufmerksamkeit gefordert würde, ergibt sich für mich daraus, dass das Gewohnte keine Aufmerksamkeit erzeugt, sondern das Ungewohnte. Das ist ja aber nicht die Forderung von Trans*Menschen, diese Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern einfach nur so sein zu dürfen. Die Aufmerksamkeit entsteht im Betrachtenden, der es nicht in seine Kategorien sortieren kann und sich deshalb gestört fühlt.
Es verletzt natürlich, aber ich versuche, mit Menschen, bei denen ich das so empfinde, Abstand zu halten.

Du hast auch deinen Namen geändert, wann kam dir dieser Gedanke und wie reagiert deine Umwelt?

Ich habe immer wieder überlegt, ob sich das richtig anfühlt, habe aber meinen vorherigen Rufnamen auch sehr gemocht. Allerdings hat sich mir vor Kurzem durch eine private Krise gezeigt, dass mit meinem Namen sehr viele Erwartungen verbunden sind, auch von mir selbst, also z.B: Sanne hilft gern. Sanne ist zuverlässig. Sanne wird gebraucht. Daran wird schon die weibliche Prägung deutlich. Aber es gibt auch eine persönlich-familiäre Prägung meines Namens, die mit einer festgeschriebenen Rolle verbunden ist und die nicht zwangsläufig mit der Frage nach dem Geschlecht zu tun hat. Es tut gut, diese Muster abzulegen und sich selbst die Möglichkeit zu geben, so gesehen zu werden und sich selbst zu sehen, wie ich heute bin. Mein Umfeld reagiert bisher ausnahmslos positiv. Aber auch hier gab es kein Outing, sondern Gespräche im Alltag.

Du hast 2 Kinder, wie nennen dich die beiden? Und wie kommunizierst du mit ihnen das Thema Geschlecht/Geschlechterrollen?

Ich bin für sie Mama. Ich teile ihnen mit, wie ich mich sehe, aber habe keinen Anspruch an meine Kinder oder sonst jemanden, mich irgendwie nennen zu müssen. Das löst auch die Verunsicherung ganz schnell wieder, wenn ich sage: Ich bin keine Frau und kein Mann und jetzt nenne ICH MICH Awa. Insgesamt sagen wir nicht: Die Frau oder der Mann, sondern die Person und achten in dem, was wir sagen, einfach darauf deutlich zu machen, dass wir ein Geschlecht nur zuordnen können, wenn die Person sich dazu geäußert hat. Es ist sehr abhängig davon, wie das Umfeld – also Kita, Freunde, Familie – das handhaben. Manchmal gibt es dann Verunsicherung, die wird aber meiner Wahrnehmung nach inzwischen aufgefangen, weil das nächste private Umfeld meiner Kinder da sehr aufmerksam und verantwortungsvoll ist.

Die Geschlechtereinteilung „divers“ oder auch „dritte Option“ genannt, bezieht sich rechtlich ja ausschließlich auf intergeschlechtliche Menschen. Was bedeutet dies für dich? Benutzt du diese Einteilung trotzdem oder wie stehst du dazu?

Wenn ich die Option habe, z.B. online, also an einer nicht offiziellen Stelle, dann ja. Im kommenden Jahr soll das Personenstandsgesetz ja endlich angepasst werden, damit diese Bezeichnung auch von und für Trans*Identitäten verwendet werden kann. Für mich ist das ein riesiger Schritt, offiziell aus dieser Zuschreibung aussteigen zu dürfen, sagen zu dürfen und zu können: Ich bin gar keine Frau, ich bin divers. Und ich finde außerhalb dieser Rolle statt. Und das nicht nur im Umfeld. Denn es ist kein privates Problem. Es ist ein gesellschaftliches und politisches Konstrukt, unter dem Menschen nicht nur persönlich leiden, sondern auch politisch und gesellschaftlich benachteiligt sind. Jobs gehen bevorzugt an Cis-Menschen, da auch hier Arbeitgeber*innen mit Diversität überfordert sind oder diese Identitäten als Mode-Erscheinungen abtun. Je nachdem wie sehr ich als Trans*Person in meiner körperlichen Erscheinung nicht ins Bild passe, habe ich Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden und bin vor allem im Alltag Diskriminierungen, Vorurteilen und Gewalt ausgesetzt. Täglich werden Trans*Personen beschimpft, werden häufig körperlich angegriffen, manchmal totgeschlagen. Es ist wichtig, dass der Staat hier neue Gesetze schafft, die das Recht auf Selbstbestimmung rechtlich und damit auch gesellschaftlich verankern.

Ich stell mir vor, dass dieses „Outen“ unangenehm und evtl. auch nervig sein kann. Wie wünschst du dir persönlich den Umgang damit in Bezug auf andere Menschen?

Wie gesagt, habe ich mich ja gegen ein großes Outing entschieden. Auch weil ich sehe, dass wir uns in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess befinden. Viele der neuen Begriffe verunsichern einen großen Teil der Gesellschaft und es kann durchaus gefährlich sein, hier zu konfrontieren. Umgekehrt gibt es in fünf Jahren vielleicht noch mehr neue Worte, die Dinge beschreiben, die ich mein Leben lang mit mir rumtrage und heute noch nicht benennen kann. Ich wünsche mir, wenn ich mich einer Person öffne, dass da kein Druck entsteht, wie ich genannt oder behandelt werden will. Wenn ein Mensch sich mit dieser Identität überfordert fühlt, bin ich sehr einverstanden, Abstand zu halten. Ich freue mich sehr über Fragen, so wie diese hier im Interview. Auch ich selbst bin noch im Prozess und Gespräche helfen auf beiden Seiten, wenn es Vertrauen gibt.

Dies ist natürlich eine rein subjektive Sichtweise von Awa und spricht nicht für die Allgemeinheit.

Quelle:

Am 30.11.2022 um 18:00 Uhr findet in der Deutschen Heilpraktikerschule Leipzig eine Infoveranstaltung des Vereins Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland (TIAM) e.V. zum Thema geschlechtliche Vielfalt statt.

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