Wie wir unsere tiefen familiären Prägungen zum eigenen Wohl nutzen könne.
Was genau kann Familienbiografisches Coaching bewirken? Mit welchen Themen kommen Menschen zum Familienbiografischen Coaching? Was nützt es einem Menschen, wenn er sich mit seinen Vorfahren und deren Schicksalen beschäftigt?
Antworten auf diese Fragen gibt Mechthild Batzke, die als Systemischer und Familienbiografischer Coach in ihrer eigenen Coaching-Praxis in Korschenbroich arbeitet. Über ihre spannende Arbeit hat sie das Sachbuch „Aus Liebe ver-rückt“ herausgegeben. Anhand vieler Fallbeispiele wird Lesern verständlich und anschaulich die Familienbiografische Arbeit und ihre praktische Anwendbarkeit nähergebracht.
Was uns alle vereint: Jeder hat eine Familie
Jeder Mensch hat eine Familie. Jeder Mensch ist das Kind seiner Mutter und seines Vaters. Und auch Mutter und Vater sind wiederum die Kinder ihrer Eltern. Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, haben wir bereits einen Familienstammbaum, der sich über einen Zeitrahmen von etwa 100 Jahren erstreckt. Ein erweiterter Familienstamm ist die älteste Form (also das älteste Werkzeug) systemischer Arbeit. Es bildet ab, wer von wem abstammt, also wo unsere Wurzeln liegen.
Es klingt so simpel und dennoch wissen wir alle, dass in diesen prägenden familiären Verbindungen Zündstoff für Beziehungskrisen, Kontaktabbrüche oder Dauerkonflikte vergraben liegt.
Im Familienbiografischen Coaching erhält der Klient die Gelegenheit, sich seiner Wurzeln und Prägung stärker bewusst zu werden. Vor allem geht es darum, diese Prägung zum eigenen Wohl in das eigene Leben fließen zu lassen.
Wie ein Genogramm erstellt wird
Beim Erstellen des erweiterten Familienstammbaums, des sogenannten Genogramms, werden die zuvor recherchierten Daten der Familie (Geburts- und Sterbedaten, Hochzeitdaten, Daten von Trennungen, schweren Krankheiten etc.) und die Namen aller Familienmitglieder zurück bis zur Großelternebene mit festgelegten Symbolen auf einem großen Blatt übersichtlich neben- und untereinander angeordnet.
Durch das Aufschreiben und Benennen der einzelnen Familienmitglieder wird der Klient angeregt, Erinnerungen an diese Personen oder überliefertes Wissen bestimmter Familienangehöriger „aufzuwecken“ und sich seiner Familienbande neu bewusst zu werden.
Das nachfolgende, anonymisierte Fallbeispiel von Mechthild Batzke veranschaulicht den Lesern, wie genau das Familienbiografische Coaching funktioniert:
Vera und die Recherche ihrer Familiengeschichte
Neulich kam eine 49-jährige beruflich erfolgreiche Klientin namens Vera, die mit einem kleinen Unternehmen selbständig ist, zu mir. Bereits vor zwei Jahren hatte sie begonnen, sich mit ihrer Familiengeschichte zu beschäftigen, und zwar nachdem sich mich bei einem Familienbiografischen Vortrag kennengelernt hatte. Damals hatte sie begonnen, Familiendaten zusammenzutragen und wollte plötzlich Antworten auf drängende familiäre Fragen. Wir vereinbarten einen Coaching-Termin und es sprudelte aus dieser freundlichen, aufmerksamen Frau heraus: „Ich brauche Klarheit in meiner Familie. Sie liegt wie im Nebel. Ich bin die Jüngste von fünf Geschwistern und ich weiß irgendwie nichts Genaues über meine Familie. Irgendwie habe ich mich meiner Herkunft immer geschämt, gleichzeitig weiß ich, dass ich nur das geworden bin, was ich bin, weil es genau diese, meine Herkunftsfamilie gibt.
Als ich sie darauf aufmerksam machte, dass Veras eigene Tochter nun so alt war (29 Jahre) wie Veras große Schwester bei deren frühen Tod, verstand sie ihr „drängendes Anliegen“, sich Klarheit verschaffen zu wollen.
Das Aufzeichnen des Genogramms und die weitere Datenrecherche (Geburts- und Heiratsurkunden) wirkte auf Vera wie eine Würdigung der Lebensumstände ihrer Vorfahren, und das befriedete Stück um Stück ihr Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Herkunftsfamilie.
Das heutige Anliegen: Das Schamgefühl bezogen auf die väterliche Linie
Bei dem nächsten Termin schauten wir besonders auf die väterliche Linie. Vera wollte „einen Knoten lösen“. Sie schämte sich des Berufs ihres Vaters und das wollte sie endlich „loswerden“. Veras Vater war schon 30 Jahre tot, gleichwohl hatte sich die Scham unverändert gehalten. Und sie spürte, dass sie das jetzt nicht mehr wollte. Sie wollte ihren Vater so anerkennen, wie er war und nicht einen Teil von ihm „verleugnen“ müssen wegen seines Berufs. Ihrem Lebenspartner hatte Vera den Beruf anvertraut, aber keiner Freundin würde sie das erzählen. Veras Vater hatte Anfang der 70er Jahre, um seine fünf Kinder durchzubringen, eine sichere Arbeit als Müllmann im öffentlichen Dienst angenommen. Vera stockte der Atem, als sie mir davon erzählte. Die Scham saß tief. Spannend zu erwähnen ist noch, dass sich keine ihrer Geschwister für den Beruf des Vaters schämte.
Vera war die erste und einzige in der Ahnen- und Geschwisterreihe, die aus eigenem Antrieb heraus in jungen Jahren (da war sie selbst schon Mutter) ihr Abitur nachgeholt und studiert hatte. Sie hatte sich sozusagen aus der „Arbeiterschicht“ in eine „gehobene Schicht“ hochgearbeitet. Ich möchte erwähnen, dass sie in keinster Weise arrogant wirkte.
Die Fragezeichen im Genogramm
Vera und ich warfen einen mitfühlenden Blick auf ihr Genogramm, das Vera selbst neu aufgezeichnet hatte, nachdem sie neue Daten recherchiert hatte. Dort „thronten“ zwei Quadrate mit einem großen Fragezeichen. Quadrate kennzeichnen Männer und Kreise entsprechend die Frauen.
Vera hatte bei ihren Recherchen herausgefunden, dass ihr Vater 1928 unehelich geboren worden war und daher auf seiner Geburts-Urkunde der Zusatz „Vater unbekannt“ vermerkt war. Gleiches war auch bei der Mutter ihres Vaters (väterliche Großmutter) passiert. Auch sie war unehelich (1906) geboren worden. Die Fragezeichen in den Quadraten galten also diesen beiden unbekannten Vätern. Zwei Männer hatten sich 1906 und 1928 nicht zu ihren schwangeren Frauen bekannt. Das bedeutete zu diesen Zeiten, dass diese schwangeren Frauen als sogenannte „gefallene Mädchen“ gesellschaftlich mit Scham bedeckt wurden. Ich regte Vera zu einem Perspektivwechsel an, indem ich fragte, wer sich denn wohl wie damals geschämt haben könnte? Vera antwortete: „Die Frauen haben sich geschämt, weil es sich zur damaligen Zeit 1906 und 1928 „nicht schickte“ unehelich schwanger zu werden. Die beiden Männer haben sich geschämt, weil sie sich weder zu ihren Frauen noch zu ihren Kindern bekannten. Sie ließen sich verleugnen, denn sie standen nicht in den Urkunden.“ Vera sprach das laut aus. Sie benannte eine bisher verschwiegene, aber wahre Familiensituation. Das brachte eine erste Erleichterung in Veras Schamgefühl. Ihr entwich ein tiefer Seufzer.
Nun wendete sich in Veras Gedanken das Blatt. Sie konnte zunehmend die Situation ihrer väterlichen Großmutter und des Großvaters, der sich verleugnen ließ, als Scham erfühlen, der nicht zu Vera, sondern zu ihren Großeltern gehörte. Gleiches vollzogen wir auf der Urgroßelternebene. Nachdem wir die Situation von damals ausführlich besprochen hatten und Vera sich dadurch zunehmend von der Scham distanzieren konnte, entwickelte sich in ihr ein plötzliches Interesse vor allem für den (bis dato unbekannten) Großvater: Wie alt war er wohl als er Veras Vater zeugte? Was war das für ein Mann? Wie alt ist er wohl geworden? Vielleicht haben auch seine Eltern verhindert, dass er sich nicht zu seiner schwangeren Freundin bekennen konnte? ……..Durch die Fragen entstand in Vera ein neues inneres Bild zu ihrem väterlichen Großvater.
Aus dem Fragezeichen wird der Opa
Ich machte Vera den Vorschlag, im Genogramm die Fragezeichen zu entfernen und die Männer als das zu bezeichnen, was sie wirklich waren: Opa und Uropa. Aufgrund der Berufsbezeichnungen in den Urkunden der Großmutter (unverheiratete Hausangestellte) und des Entbindungshauses war ihre Großmutter wohl von einem Mann von höherem Stand (Bildungsbürgertum) geschwängert worden.
Am Ende der zweistündigen Sitzung kamen wir erneut auf Veras Vater und seinen Beruf zu sprechen. Nun konnte Vera erkennen, dass ihr eigener Vater sich seiner Kinder voll und ganz angenommen hatte und er sich nicht zu fein war, sogar als Müllmann zu arbeiten, damit er für seine Frau und Kinder das Einkommen sicherte. Er hatte sich zu Lebzeiten im Gegensatz zu seinem eigenen leiblichen Vater und Großvater um seine Frau und seine Kinder gekümmert und stand selbstverständlich als Veras Vater in ihrer Geburtsurkunde.
Die Scham, um seinen Beruf schmolz quasi in Veras Händen dahin, als sie für ihren gerade als Opa entdeckten Großvater aus meiner kleinen Steinsammlung einen gefälligen Stein aussuchte, dick Opa drauf schrieb und ihn stolz in der Hand hielt.
Mit einem „Ach, jetzt hab ich ja endlich einen Opa“, verließ Vera mit einem „guten Gefühl“ meine Coaching-Praxis.
Anhand eines Ausschnitts aus dem Genogramm von Vera können Sie den geschilderten Prozessverlauf bildlich nachvollziehen:
Befreiende und stärkende Wirkung
Wenn Sie die befreiende und gleichzeitig stärkende Wirkung eines familienbiografischen Coachings für sich nutzen möchten, so werfen Sie einen Blick in Ihr Familienstammbuch und starten damit, sich Ihrer Wurzeln neu zu vergewissern. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte ist eine tiefgreifende Möglichkeit, neue und mutige Schritte im Leben zu gehen. Schon Goethe wusste: Ohne Wurzeln, keine Flügel.
Fach-Ausbildung zum „Familienbiografische Coach“
Aufgrund vermehrter Anfragen von Coaching-Kollegen und Psychotherapeuten bietet Mechthild Batzke eine einjährige Fach-Ausbildung zum Familienbiografischen Coach an. Die Ausbildung ist als Zusatz-Qualifikation zu einer vorhandenen fundierten sozialpädagogischen, psychologischen oder medizinischen Tätigkeit gedacht. Die auch als Sterbe- und Trauerbegleiterin ausgebildete Dipl. Betriebswirtin ist als Dozentin bzw. Ausbilderin für die Deutsche Heilpraktikerschule Mülheim/Duisburg tätig. Die nächste Fachausbildung startet am 12. April 2018. Kursort ist das wunderbar gelegene Nikolauskloster in Jüchen.
Für weiterreichende Informationen zum Familienbiografischen Coaching und auch zur Fach-Ausbildung nehmen Sie gerne Kontakt mit Mechthild Batzke auf. Mehr zum Sachbuch >>>
Dieser Beitrag wurde gemeinsam mit Mechthild Batzke verfasst.
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