Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell – Warum ist das Fass am Überlaufen?

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell  – Warum ist das Fass am Überlaufen?

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell – Warum ist das Fass am Überlaufen?

Viele von uns kennen den Gedanken „das Fass ist bald voll“ oder „das Fass ist am Überlaufen“. Bei dem einen kommt der Gedanke schneller, bei dem anderen dauert dieser Prozess länger. Warum ist das so? Warum reagieren wir so unterschiedlich auf Stress? Weswegen ist das Fass so schnell voll? Und was hat es mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell auf sich? Fangen wir mal bei den Begriffen an.

Was ist Vulnerabilität?

Vulnerabilität ist abgeleitet von dem lat. Verb vulnerare, was so viel bedeutet wie „verwunden“.

Sie ist also eine genetisch und / oder biografisch erworbene Verletzlichkeit oder Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen. Sie kennzeichnet eine erhöhte Bereitschaft zur Ausprägung psychischer Störungen.

Wie stark die Vulnerabilität ausgeprägt ist, kann u.a. von den Risiko- und Schutzfaktoren eines Menschen abhängen. Hierbei wird zwischen kindbezogenen und umweltbezogenen Faktoren unterschieden, welche kontinuierlich oder nur zu einem bestimmten Zeitpunkt wirken können.

Kindbezogene Risikofaktoren:

  • prä-, peri- und postnatale Einflüsse (z.B. Frühgeburt, Geburtskomplikationen)
  • genetische Faktoren (z.B. Chromosomenanomalien)
  • chronische Erkrankungen
  • schwierige Temperamentsmerkmale
  • unsichere Bindungsorganisation
  • geringere kognitive Fähigkeiten
  • geringe Fähigkeit zur Selbstregulation von Anspannung und Entspannung
  • neuropsychologische Defizite

Umweltbezogene Risikofaktoren:

  • Erziehungsdefizite / ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern
  • sehr junge Elternschaft (vor dem 18. Lebensjahr)
  • alleinerziehende Elternteile
  • niedriger sozioökonomischer Status, chronische Armut
  • psychische Erkrankungen einer bzw. beider Elternteile
  • niedriges Bildungsniveau der Eltern
  • aversives Wohnumfeld, häufige Umzüge, häufiger Schulwechsel
  • traumatische Erlebnisse

Den Risikofaktoren stehen die Schutzfaktoren gegenüber, welche den Grad der Vulnerabilität und die Entwicklung positiv beeinflussen können. Somit können negative Effekte abgeschwächt, kompensiert oder aufgehoben werden. Sie können in drei Ebenen unterteilt werden: Kind, Familie und soziale Umwelt und stehen in Wechselwirkung zueinander.

Schutzfaktoren auf der Kind-Ebene:

  • Kognitive Fähigkeiten
  • Positives Temperament
  • Positive Selbstwahrnehmung
  • Selbstwirksamkeitserwartung
  • Soziale Kompetenzen
  • Aktive Bewältigungsstrategien
  • Kreativität & Fantasie

Schutzfaktoren auf der Familien-Ebene:

  • Emotional warmes und klar strukturiertes Erziehungsverhalten
  • Stabile Bindung zu mindestens einer Bezugsperson
  • Positive Beziehung zu vorhandenen Geschwistern
  • Positive Merkmale der Eltern

Schutzfaktoren aus der sozialen Umwelt:

  • Soziale Unterstützung
  • Qualität der Bildungsinstitutionen
  • Soziale Modelle

Was ist Stress?

Der Begriff Stress (lat. strictus – straff) wurde aus dem Englischen übernommen und bedeutet Druck oder auch Beanspruchung. Es gibt einige Reize, die von einer Vielzahl an Menschen im Allgemeinen als stressig erlebt werden können. Dazu zählen:

  • Alltags- und Arbeitsbelastungen und physikalisch-sensorische Stressoren (Lärm, Zeitdruck, Reiz- oder Schlafentzug…)
  • Leistungs- und soziale Stressoren (zwischenmenschliche Konflikte, Überforderung…)
  • Körperliche Stressoren (Schmerz, Hunger…)
  • Belastende kritische Lebensereignisse (Verlust von Bezugspersonen…)
  • Chronische Spannungen und Belastungen (Krankheit, Rollenkonflikte…)
  • Kritische Übergänge im Lebensverlauf („Transitionen“)

Was ist demzufolge das Vulnerabilitäts-Stress-Modell?

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklärt man am besten mit einem Gedankenexperiment. Stellen wir uns einmal 3 Fässer vor:

Der Mensch bei Fass 1 hat innerhalb des Lebens kaum Risikofaktoren gehabt und eine geringe Vulnerabilität, somit ist das Fass immer noch sehr leer und es kann viel Stress aufnehmen.

Der Mensch bei Fass 2 ist mit geringen Risikofaktoren aufgewachsen. Die Vulnerabilität ist etwas erhöht und der Platz nach oben daher schon etwas geringer. Es passt weniger Stress hinein.

Nun zu Fass 3. In diesem Fall hat der Mensch viele Risikofaktoren, die Vulnerabilität ist stark erhöht und das Fass ist schon nahezu voll. Der Platz für möglichen Stress ist also minimal.

Vulnerabilitäts-Stress-Modell - Fässer

Im Vulnerabilitäts-Stress-Modell ist außerdem folgende Entlehnung aus der Fass-Metaoher enthalten: Um dem Fass im Nachhinein etwas mehr Füllmöglichkeit zu verleihen, brauchen wir einen Überlaufschutz.

Vulnerabilitäts-Stress-Modell - Überlaufschutz

Dieser Überlaufschutz kann durch Therapie, Beratung aber auch durch Selbsthilfe gelingen und uns somit effektiver bei stressigen Situationen schützen. Wie so ein Überlaufschutz genau aussehen kann, erfahren Sie in meinem nächsten Blogbeitrag.

Quellen:

Hier finden Sie alle Informationen zu unseren Ausbildungen zum Heilpraktiker für Psychotherapie:

Dieser Beitrag wurde von Katharina Scholz, Tutorin der Vollzeitausbildung an der Deutschen Heilpraktikerschule Leipzig, verfasst.

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