Seit Wochen befinden wir uns durch Corona nun – teilweise freiwillig, teilweise gezwungenermaßen – in Isolation. Und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Was hat das für Folgen für die menschliche Seele?
Diese Frage zu beantworten, ist wirklich nicht leicht. Dafür gibt es viel zu unterschiedliche persönliche Veranlagungen, Persönlichkeitsstrukturen, Lebenssituationen usw.
Aus diesem Grunde hier ein Blick auf Menschen, die sich in relativ „normalen“ Lebenssituationen befinden – sofern man unter diesen Umständen überhaupt noch von normal sprechen kann.
Darüber hinaus befinden sich einige Menschen derzeit aber auch noch in ganz anderen Extremsituationen, z.B.:
- Ärzte und Ärztinnen, pflegendes Personal, Rettungskräfte usw.
- Menschen, die durch eine Verschiebung geplanter Operationen um ihr Leben bangen
- Krankenhauspatienten und Bewohner von Pflegeheimen (und deren Angehörige!), die sich in der Sterbephase nicht voneinander verabschieden können
Diese Personengruppen sind – neben den allgemeinen Risiken – noch ganz anderen Herausforderungen für die psychische Gesundheit ausgesetzt, auf die ich in einem anderen Beitrag eingehen werde.
Zunahme und Verstärkung von Angsterkrankungen, Depressionen und Suizidrisiko
Eins ist aber klar: Die Isolation durch Corona kann – insbesondere für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen – gravierende Folgen haben. So kann das Fehlen von sozialen Kontakten und die damit verbundene Einsamkeit zu einer Verstärkung von bereits bestehenden Angsterkrankungen und Depressionen führen. Und schon jetzt ist eine erhöhte Suizidrate zu beobachten.
Aber auch die Tatsache, dass Corona – ein winzig kleines und doch so machtvolles Virus – so abstrakt, unsichtbar und vom Verstand her kaum vorstellbar ist, kann bei einigen Menschen erstmals Ängste entstehen lassen, denen sie hilflos ausgeliefert sind. Zu diesen vagen, unbestimmten Ängsten kommen in vielen Fällen noch real existierende existentielle Sorgen hinzu, zum Beispiel Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit sowie die damit verbundenen finanziellen Einbußen bis hin zur Insolvenz.
Anstieg von Burnout, Suchterkrankungen und häuslicher Gewalt
Dann gibt es da noch die Gruppe von Menschen, die erstmals von zu Hause aus arbeiten muss. Von vielen vielleicht schon lange gewünscht, stellt es sich plötzlich als unglaublich anstrengend heraus, Privates und Berufliches voneinander zu trennen. Zu arbeiten, während vielleicht die Kinder und sogar der Partner den ganzen Tag zu Hause sind, erfordert großes Organisationstalent und eine klare Abgrenzung. Nicht in allen Familien funktioniert das von Anfang an. Insbesondere bei Menschen mit hohen Ansprüchen an sich selbst erhöht sich dadurch das Risiko eines Burnouts.
Vielen Familien und Lebensgemeinschaften wird erst jetzt klar, wie wohltuend auch zeitlicher und räumlicher Abstand sein kann. Oft werden wir uns erst in den Stunden, die Partner und Kinder durch Schule, Arbeit, Hobbys usw. sonst außer Haus sind, unserer eigenen Bedürfnisse bewusst. Diese Auszeiten sind wichtig, um unsere Akkus wieder aufzuladen. In der jetzigen Situation ist es wichtig, Grenzen zu setzen, sich neue Freiräume zu schaffen (und sei es auch nur die ungestörte Viertelstunde) und das auch mit den anderen Familienmitgliedern und/oder dem Partner abzustimmen.
Das intensive und ungewohnte „Aufeinanderhocken“ führt in nicht wenigen Fällen zu Streitigkeiten, Aggressionen, Beziehungskrisen. So ist bereits jetzt eine stark erhöhte Anzahl von Fällen häuslicher Gewalt zu verzeichnen. In einigen Ländern fehlen schon zahlreiche Plätze in Frauenhäusern, um Mütter und Kinder in Sicherheit zu bringen.
In den letzten Wochen kommt es auch in vielen Fällen zu einer Zunahme von Drogen- und Alkoholkonsum, insbesondere bei bereits bestehenden Suchterkrankungen. Zu Hause festsitzen, Langeweile, genervt sein, keine sinnvolle Aufgabe haben, Angst um die Gesundheit, den Arbeitsplatz, die finanzielle Situation und die Zukunft – ohne dass ein Ende in Sicht ist – lässt viele Menschen verstärkt zu Drogen greifen. Insbesondere starker Alkoholkonsum ist häufig Mitauslöser für häusliche Gewalt!
Psychische Folgen: Ein „kann“, kein „muss“!
Ob der einzelne Mensch tatsächlich psychische Erkrankungen entwickelt, hängt von vielerlei Faktoren ab. Zum einen liegt es an der Resilienz – also der seelischen Widerstandskraft – des einzelnen (ein Beitrag dazu folgt in Kürze), zum anderen aber auch daran, inwieweit es uns gelingt, uns mithilfe der (modernen) Kommunikationsmittel und sozialen Medien ein Stück weit aus der sozialen Isolation zu befreien. Und vielleicht gelingt es uns ja auch, Freude an einfachen Aktivitäten zu entdecken, wie Spazierengehen, Joggen, Basteln, Briefe schreiben oder ähnlichem.
Erhöhter Bedarf an Beratung und Psychotherapie
Ganz ohne Zweifel besteht in diesen Zeiten auch ein erhöhter Bedarf an professioneller Hilfe wie psychologischer Beratung oder Psychotherapie. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Menschen – auch unter den erschwerten Bedingungen – diese Hilfe auch einfordern und bekommen. Eine Möglichkeit bietet die psychologische Beratung per Telefon, die zumindest übergangsweise wertvolle Unterstützung leisten kann.
Jede Krise bietet auch neue Chancen
Trotz all der erschreckenden Meldungen gibt es aber auch zahlreiche Hinweise auf positive Entwicklungen in unserer Gesellschaft: Nachbarschaftshilfe, soziales Engagement, Ehrenamt und Kreativität sind nur einige davon. Es bleibt zu hoffen, dass uns diese positiven Aspekte auch nach der Corona-Pandemie erhalten bleiben!
Kommentar verfassen