Die homöopathische Behandlung von Angst als Symptom hat schon Hahnemann beschrieben. Vor 200 Jahren lag der Schwerpunkt von Erkrankungen eindeutig auf der körperlichen Seite, sodass Angst oft in Verbindung mit anderen Erkrankungen beschrieben wurde. Grundsätzlich unterscheidet man in der Homöopathie nicht zwischen Angst und Angststörung, sondern zwischen der Angst vor etwas, der Angst bei etwas und der Ausprägung bzw. den körperlichen Folgen.
Heute scheint der Schwerpunkt, oft sogar die Ursache der Erkrankung, auf emotionaler oder seelischer Seite zu liegen. Denken wir an das große Feld der Psychosomatik oder der Autoimmunerkrankungen. Burnout, Depressionen und Angst werden als isoliertes Krankheitsbild beobachtet. Oft sind sie begleitet von unspezifischen, kaum zu erfassenden körperlichen Symptomen, die es dem Homöopathen schwer machen, nach klassischen Regeln das passende Arzneimittel zu finden.
Hier wechseln viele Kollegen in die modernen Methoden der Homöopathie, sei es die prozessorientierte, die themenorientierte Homöopathie, die Empfindungsmethode nach Sankaran oder systematische Betrachtungen wie sie Jan Scholten lehrt. Auf diese Weise öffnet sich das Spektrum der in Frage kommenden homöopathischen Arzneien von wenigen Dutzend auf mehrere Hundert.
Manifestation von Angst
Unabhängig von der angewendeten Methode und der Ausprägung der Angst unterscheide ich nach meiner Praxiserfahrung drei grundsätzlich verschiedene Entstehungsformen:
- als direkte Folge einer Akutsituation,
- als konstitutionelle Eigenschaft,
- als Folge erlittener und verarbeiteter Traumatisierung.
Natürlich gibt es auch Mischformen, aber sich als Therapeut darüber im Klaren zu sein, seit wann und wie die Angst in das Leben des Patienten getreten ist, ist maßgeblich für die Prognose von Dauer und Erfolg der Behandlung. Je ausgeprägter die Angst, umso mehr die Fähigkeit eingeschränkt ist, den Alltag zu bewältigen, umso wichtiger ist eine Psychotherapie begleitend anzuregen oder beizubehalten. Oft ist es ein Zeichen des Therapieerfolgs, dass der Patient sich die Unterstützung durch einen Psychotherapeuten sucht.
Angst als direkte Folge einer Akutsituation
Jede krasse Situation kann Angst hervorrufen, sei es ein Unfall, eine Operation, eine schlechte Nachricht, Gewalt oder Missbrauch, das Erleben von Geburt und Tod, plötzliche Armut oder Vertreibung, die Liste kann beliebig fortgesetzt werden. In der Anamnese fällt die Formulierung „seit“ auf. Seit 2012, seit der Geburt der Tochter, seit dem Reitunfall usw. Dieser Spur muss gefolgt, die Zusammenhänge erkannt werden. Oft reicht dann die Ausprägung der Angst, um eines der klassischen Angstmittel zu verschreiben, z.B. Aconitum, Gelsemium, Ignatia, Arsenicum album. In meiner Praxis ergänze ich in diesem Zusammenhang die Liste durch Inachis Io.
Nehmen wir zum Beispiel den kleinen Tim. Er ist gerade neun Wochen alt, wirkt zart und schmal mit großen Augen, die ängstlich in die Welt blicken. Er ist sehr schreckhaft, reagiert auf laute Geräusche und fremde Menschen oder eine neue Umgebung mit verzweifeltem Weinen. Die Mutter berichtet von einer sehr schnellen Geburt, nach kaum zwei Stunden war Tim auf der Welt, was auch ihr zu schnell war. Die plötzliche Geburt entspricht einem Schock, Tim bekommt zwei Gaben Aconitum C200. Bereits nach einer Woche ist er spürbar gelassener und neugieriger, nach zwei Wochen reduziert sich auch etwas die Schreckhaftigkeit vor lauten Geräuschen.
Die Behandlung solcher Akutzustände, die einen direkten Zusammenhang zu einem Auslöser haben, ist vergleichsweise einfach und zeigt eine schnelle Wirkung.
Angst als konstitutionelle Eigenschaft
Wenn Angst schon ein Leben lang ein ständiger Begleiter ist, wenn schon die Eltern berichtet haben, der Patient war immer schüchtern und ängstlich, dann gehört die Angst zu ihm. Sie ist Teil seines Wesens und gehört, homöopathisch betrachtet, zu seinem Konstitutionsmittel. Hier ist die Behandlung langwieriger und auch nicht persönlichkeitsverändernd. Das Ziel ist es hier, durch die Gabe des Konstitutionsmittels den Zugang zur Angst und damit den Umgang mit ihr zu ermöglichen. Die Angst wird als Teil des Daseins akzeptiert und auf eine gesunde Vorsicht reduziert. Dabei ist Geduld gefragt, denn Rückfälle sind normal und müssen gut aufgefangen werden.
Sophie war schon immer zart und schüchtern. Inzwischen ist sie 17 Jahre alt und hat eine Sozialisierungsstörung entwickelt, sie kann nicht einmal mehr zur Schule gehen. Die Behandlung bewirkt in kleinen Schritten eine Besserung, sie kann am Unterricht teilnehmen, macht ihr Abitur und beginnt ein Studium. Sie braucht weiter die regelmäßigen Gespräche und in großen Abständen die Gabe des Konstitutionsmittels, wird aber immer sicherer.
Angst als Folge erlittener und verarbeiteter Traumatisierung
Meine Patienten haben mir gezeigt, dass nicht nur die Konstitution oder ein Akutzustand für Angst verantwortlich sein können. Auch das Erleben von Situationen, die nicht erklärbar sind, die nicht verarbeitet werden können, kann das Wesen eines Menschen verändern. Oft finden sich solche Erlebnisse in früher Kindheit. Die Sprache ist noch kein funktionierendes Werkzeug oder die Eltern sehen keinen Grund, zu erklären oder können es schlicht nicht. Speziell angstauslösend können so einfache Situationen wie z.B. das Verschwinden der Eltern beim Einkaufen sein, das Erleben einer Halloweenparty, der Wegzug einer Kindergartenfreundschaft, die Einschulung usw. Oft ist den Kindern nur wenig anzumerken, selten gibt es eine klar erkennbare Reaktion. Und doch verändert sich das Kind, will nicht mehr alleine schlafen, trennt sich schlechter von den Eltern, fürchtet sich auf einmal im Dunkeln. Daraus kann sich eine Angst entwickeln, aber ohne das ängstliche Wesen der Konstitution. In der Therapie zeigt sich diese Schicht irgendwann klar und darf nun gezielt behandelt werden. Wann das ist, steht nicht fest. Danach verschwindet die Angst, oft unerklärlich.
Frau Schmidt ist eine Mitvierzigerin mit Rückenproblemen, die Arbeit ist ihr Leben. Eine unerklärliche Angst vor Mäusen plagt sie. Während der Behandlung bekommt sie aufgrund einer alten schweren Verletzung Arnika. Als sie das nächste Mal eine Maus sieht, freut sie sich und sagt zu ihrer Kollegin, wie süß die ist.
Zusammenfassung
Die Homöopathie kann Angstzustände lindern und manchmal ganz auflösen. Wichtig ist, die Zusammenhänge, den Auslöser zu erkennen und entsprechend zu handeln. Wie immer muss das Arzneimittelbild mit den Symptomen des Patienten übereinstimmen, es dürfen nur Einzelgaben verordnet werden und niemals ohne Erfahrung Hochpotenzen. Oft braucht der Patient Wochen für die Reaktion, Geduld ist hier eine Tugend. Bitte behandeln sie nicht ohne fundierte Kenntnisse eine konstitutionelle Angst, das gehört in die Hände erfahrener Therapeuten. Das Auftreten von körperlichen Symptomen während sich die Angst verbessert, ist ein gutes Zeichen und sollte niemanden verunsichern.
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