Die Abnehmspritze – Ozempic und Wegovy aus ganzheitlicher Sicht: Die Medikamente Ozempic und Wegovy (Wirkstoff: Semaglutid) sind inzwischen in aller Munde. Ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt, stehen sie heute vor allem als sogenannte Abnehmspritzen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der häufig verwendete Wirkstoff Semaglutid gehört zur Gruppe der GLP-1-Analoga. GLP-1 steht für Glucagon-like Peptide-1, ein Hormon, das im Zwölffingerdarm produziert wird. Es:
- regt die Insulinausschüttung an,
- senkt den Blutzuckerspiegel,
- verlangsamt die Magenentleerung
- und fördert das Sättigungsgefühl.
Der Wirkstoff in den Abnehmspritzen imitiert dieses Hormon – mit dem Effekt, dass Betroffene weniger Appetit verspüren und oft deutlich an Gewicht verlieren.
Es ist nicht für alle Menschen einfach, Körpergewicht zu verlieren – und das liegt nicht nur an Ernährung und Bewegung. Genetische Veranlagungen, hormonelle Störungen, psychische Belastungen und bestimmte Medikamente können das Abnehmen erheblich erschweren.
Zudem ist unser Körper evolutionsbiologisch darauf programmiert, Fettreserven möglichst effizient zu speichern – ein überlebenswichtiger Mechanismus aus Zeiten häufiger Hungersnöte.
Wird dem Körper durch eine sehr kalorienarme Diät plötzlich Energie entzogen, reagiert er häufig mit einem „Notfallmodus“: Der Stoffwechsel verlangsamt sich, um Energie zu sparen – was den Abnehmerfolg zusätzlich bremst.
Ernährungswissenschaftliche und naturheilkundliche Betrachtungsweise
Was zunächst wie eine einfache Lösung zur Gewichtsreduktion wirkt, wirft jedoch aus ernährungswissenschaftlicher Sicht viele Fragen auf:
- Wie beeinflusst das Medikament das Essverhalten langfristig?
- Was passiert mit der Ernährungskompetenz?
- Und wie steht es um die Versorgung mit Nährstoffen?
Viele berichten, dass sie durch die Anwendung der Abnehmspritze schneller satt werden und weniger Heißhunger verspüren – was zu einer deutlich verringerten Kalorienaufnahme und damit in der Regel auch zu einer Gewichtsabnahme führt.
Doch: Nicht allein das Körpergewicht entscheidet über Gesundheit. Wer durch Medikamente keinen Appetit mehr verspürt, läuft Gefahr, die Verbindung zum eigenen Körper zu verlieren. Langfristig könnte dies das Risiko erhöhen, nach dem Absetzen wieder in alte Muster zurückzufallen – inklusive des gefürchteten Jo-Jo-Effekts.
Außerdem führt ein reduzierter Appetit oft zu einer unzureichenden Nährstoffversorgung. Häufig sind Eiweiß, Eisen, Vitamin B12, Magnesium oder Omega-3-Fettsäuren betroffen – besonders, wenn Mahlzeiten ausgelassen oder stark verkleinert werden.
Auch aus naturheilkundlicher Sicht wird Gewichtszunahme als multifaktorielles Geschehen betrachtet. Die Wirkung der Spritze bezogen auf den Wunsch, Gewicht zu verlieren, ist symptomorientiert, also nicht ursächlich. Der Körper wird pharmakologisch getäuscht, ohne die individuellen Gründe für Übergewicht – etwa Stress, Hormonungleichgewicht, gestörte Darmflora oder emotionale Essmuster – zu behandeln.
Aber nicht jede Täuschung muss schlecht sein. Hoffnung geben nämlich Beobachtungen neben den unerwünschten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall oder Völlegefühl, dass die regelmäßige Verabreichung von Semaglutid auch positive Wirkungen zeigt. So scheint es, dass die Gefahr, an tödlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder sogar Darmkrebs zu versterben, signifikant sinkt.
Noch spektakulärer sind Berichte, dass es Hinweise gebe, die das Risiko an Demenz zu erkranken deutlich senken soll. Erforscht wird ebenfalls die Wirkung auf das Suchtverhalten. Einige Studien deuten darauf hin, dass Semaglutid möglicherweise die Aktivität im Belohnungszentrum beeinflussen kann, was dazu beitragen könnte, das Verlangen nach bestimmten Substanzen oder Verhaltensweisen zu verringern.
Psychologische Betrachtungsweise
Interessant wird es, wenn die Abnehmspritze als Lifestyle-Medikament von schlanken Menschen verwendet wird, um noch schlanker zu werden. Rutschen wir erneut in die längst hinter uns geglaubten Schönheitsideal-Muster und werden Kampagnen wie „Body-Positivity“, „Celebrate Your Curves“ bedeutungslos, während Abnehmen wieder als Erfolg gefeiert wird? Natürlich sollte das eigene Wohlbefinden, neben dem Gesundheitsaspekt, an erster Stelle stehen. Doch wo ziehen wir die Grenze? Welchen Menschen erlauben wir abzunehmen und welchen nicht? Dürfen nichtbetroffene über betroffene Menschen urteilen? Und ist es nicht großartig, wenn Menschen, die alles versucht haben, um abzunehmen – Diäten, Sport, Medikamente – und trotzdem keinen Erfolg hatten, mit der Abnehmspritze eine neue Chance bekommen ihr Wohlfühlgewicht zu erreichen?
In der Praxis zeigt sich oft kein einheitliches Bild. Manche Menschen geraten durch die Verwendung der Spritze in ein Suchtverhalten: Die Pfunde purzeln, doch im Körper stellt sich kein echtes Wohlbefinden ein. Stattdessen wird der Wunsch abzunehmen so stark, dass Menschen vom Übergewicht ins Untergewicht rutschen. Eine Indikation gäbe es aus medizinischer Sicht dann keine mehr, doch illegale Wege, an die Spritze ohne Privatrezept zu kommen, gibt es viele. Daraus wird deutlich, dass Essverhalten ein Symptom tieferliegender Probleme und Störungen sein kann. Es zeigt, wie wichtig es ist, die dahinterliegenden Gründe zu erforschen und ein gesundes Körperbild zu stärken. Welche Auswirkungen die Abnehmspritze generell auf Essstörungen wie Anorexie und Binge-Eating haben wird, wird sich ebenfalls zeigen.
Zusätzlich zur Frage der psychischen Balance rückt auch die Genussfähigkeit in den Blick. Wenn Abnehmspritzen das Belohnungssystem beeinflussen, kann sich unser individuelles Genussgefühl verschieben. Es stellt sich die Frage, wie nachhaltig Genussfähigkeit – also entspanntes Essen, Freude am Essen und gemeinsames Essen mit anderen – erhalten oder wiederhergestellt werden kann, während gleichzeitig Gewicht, Gesundheit und psychisches Wohlbefinden berücksichtigt werden.
Fazit – die Abnehmspritze aus ganzheitlicher Sicht
Die Abnehmspritze bleibt eine hochkomplexe, ethisch sensible Option. Sie kann den Einstieg in die Gewichtsreduktion erleichtern und Motivation sowie erste Erfolge fördern, insbesondere bei stark adipösen Menschen, die bereits erfolglos verschiedene Methoden ausprobiert haben. Eine erfolgreiche, nachhaltige Gewichtsreduktion erfordert jedoch eine Kombination aus:
- Ernährungsumstellung – mit Fokus auf nährstoffdichten Lebensmitteln und regelmäßige Mahlzeiten,
- ausreichend Bewegung,
- Entgiftung,
- Darmsanierung,
- seelischer Arbeit
- und vor allem einen liebevollen, achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper.
Es gilt, Genuss, Belohnung und Essen wieder in einen ausgewogenen Kontext zu rücken und emotionale Auslöser fürs Essen zu adressieren. In einer verantwortungsvollen Begleitung können Menschen so lernen, Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen, gesunde Gewohnheiten dauerhaft zu verankern und ein achtsames, freudvolles Verhältnis zu Nahrung und Körperbild zu entwickeln.






Dieser Beitrag wurde von Anne Stoye, Juliane Ziegler und Michael Bochmann verfasst. Sie sind Dozenten der Deutschen Heilpraktikerschule Leipzig. Wir danken außerdem für die fachliche Unterstützung durch Thomas Müller, Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe und Endokrinologe mit eigener Praxis in Leipzig.