Durch meine Ausbildung an der Heilpraktikerschule Mülheim/Ruhr habe ich mir das Erkrankungsbild verschiedener Angststörungen und Phobien bewusst gemacht. Im Laufe der Jahre habe ich einige betroffene Menschen kennengelernt. Ein junger Mann hat sich mit mir getroffen und mir einige Fragen zu diesem Thema beantwortet. Er möchte anonym bleiben.
Danke, dass Sie heute hier sind. Ich werde Ihnen nun einige Fragen stellen. Es steht Ihnen frei zu antworten und falls Sie auf etwas nicht antworten möchten, sagen Sie es einfach.
Wovor haben Sie Angst oder unter welcher Phobie leiden Sie?
Also, was ich damals von Experten rausgehört habe, war, dass ich an einer Sozialphobie leide. Das hat sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass es gerade zu Beginn meines Studiums und in Vorlesungssälen mit vielen Studierenden dazu kam, dass ich für mich selbst gemerkt habe: „Oh je ich schaffe das nicht.“ Ich hatte die ganze Zeit irrationale Ängste im Sinne von irgendjemand hat es auf mich abgesehen, irgendjemand macht sich über mich lustig oder irgendjemand ist mit Negativität auf mich aus. Das war so der Punkt, wo ich es selbst erkannt habe und ich habe auf mein bisheriges Leben zurückgeblickt. Dort wurde mir klar, dass ich es schon von Kindheit an hatte. Es war schon immer so, dass wenn ich mich umgeblickt habe, selbst wo ich mit meinen Eltern im Vergnügungspark war, immer ein bisschen Angst hatte, dass ich verloren gehe oder das mich jemand Böses entführt. Ich hatte also schon immer diese irrationalen Ängste, die eigentlich, ich will nicht sagen, unbegründet waren, aber für die es keinen Anlass gab. Also es war eigentlich immer so, dass ich nie mit jemanden geredet habe und ich war recht ruhig und ich hatte trotzdem immer diese Ängste gehabt. Was ich auch sagen muss, in meiner Zeit auf der Realschule von der 5 bis zur 10. Klasse haben sich meine Ängste in die Realität umgesetzt, also ich wurde sehr oft dumm angemacht, ich wurde sehr oft schräg angeschaut, obwohl ich nie jemanden was getan habe und auch sehr nett war. Das war für mich so der Punkt, wo sich die Angst manifestiert hat und realistisch wurde, weil ich da auch für mich selbst gemerkt habe: Es gibt Menschen, die werden dir blöd kommen, obwohl du nichts tust und das hat die Angst noch mehr verstärkt. Die Angst hat sich dann weiter aufgebaut, bis es soweit war, dass ich teilweise nicht mehr raus konnte, ohne leicht verängstigt zu sein oder zu zittern. Also ich konnte auch nicht zum Bäcker gehen und Brötchen belegen lassen ohne leichtes Herzrasen zu haben.
Also war Ihnen schon in Ihrer Jugend bewusst, dass Sie an dieser Phobie leiden?
Ja genau. Ich dachte lange, dass es eine extreme Schüchternheit oder eine Introvertiertheit ist, die sich halt ein bisschen manifestiert hat. Im Nachhinein muss ich schon sagen, dass es ein sehr großer Aspekt der sozialen Phobie war und ich habe gemerkt, dass viele andere in meinem Alter solche Probleme nicht hatten.
Gibt es in der heutigen Zeit besondere Auslöser oder Situationen, in denen Ihre Ängste bzw. Ihre Phobie stärker ausgeprägt sind?
Also ich merke zum Beispiel, wenn ich ganz lange zu Hause bin und nichts zu tun habe und niemanden habe, mit dem ich reden kann, dass ich halt sehr schnell in eine sogenannte Depressionsphase versinke. Ich merke für mich selbst, dass ich antriebslos bin, dass ich mir Gedanken um Dinge mache, die außerhalb meiner Reichweite liegen, dass ich Dinge überdramatisiere oder einfach, dass ich mich generell frage, was ich hier mache. Ich sitze dann den ganzen Tag in meinem Zimmer und mache nichts wirklich und komme nicht voran und das macht mich sehr unzufrieden und dies bestärkt die Depression.
Treten in diesen Phasen auch verschiedene Ängste auf?
Ja auf jeden Fall. Zum Beispiel die Angst, dass ich keinen Job finde. Die Angst, dass ich beruflich abstürze. Auch leicht so ein bisschen paranoide Ängste im Sinne von, ob mich all meine Freunde nach der Zeit noch mögen und ob ich überhaupt die Zeit so überstehen werde. Auch wenn ich mal huste oder merke, dass mir die Luft wegbleibt, habe ich Angst ob ich vielleicht doch „Corona“ habe. Diese ganzen paranoiden Ängste verstärken sich bei Menschen, die keine Masken tragen. Dadurch schließe ich auf gewisse Charaktereigenschaften, die diese Menschen haben, zum Beispiel, ob diese brutaler oder rücksichtsloser sind und diese Menschen es vielleicht auf mich abgesehen hätten.
Waren Sie schon mit Ihrer Diagnose Phobie in einer Therapie?
Ich habe 2 Jahre lang eine Therapie gemacht. Davor war ich ein halbes Jahr in Therapie, die ich jedoch abgebrochen habe, weil ich und die Therapeutin uns nicht so wirklich verstanden haben und auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen sind. Es gab sehr viele Aspekte, die sie anders interpretiert hat, als es für mich wirklich war. Genau da habe ich dann die Therapie abgebrochen und eine andere Therapie angefangen. Dies war eine Schematherapie (Anmerkung Saskia Ewers: eine Form der Verhaltenstherapie). Da muss ich sagen, dass ich mich von Anfang an gut aufgehoben gefühlt habe. Ich habe für mich selbst gemerkt, dass die Schritte die richtigen waren. Ich konnte dadurch über sehr viele Dinge nachdenken und viele meiner Probleme abwerfen.
Das freut mich sehr. Können Sie mir den Ablauf einer Schematherapiesitzung erläutern?
Also ganz am Anfang war es so, dass ich sehr viel über mich erzählt habe, über meine Probleme und über meine Sorgen. Danach haben wir meine Schemata angeschaut und wie sie sich mehr oder weniger ergänzen oder sich gegenseitig ausgrenzen. Zum Beispiel, dass mir halt gesagt wird, du musst Leistung erbringen, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden und dass dieses Schema wiederum das Schema niedermacht, dass ich mich als die Person liebe, die ich bin. Es war mehr oder weniger eine Ambivalenz und im Laufe der Therapie habe ich gemerkt, dass ich mich da sehr stark wiedergefunden habe und sehr stark zwischen den Schemata gewechselt bin. Ich habe sehr einseitig gedacht. Mir war mehr oder weniger klar, dass ich das Schema, dass ich beruflich angesehen werden möchte, hoch angesetzt habe und wiederum das Schema, dass man mich so mag, wie ich bin, ganz niedrig gesetzt habe. Ich merke, ich weiche gerade ein bisschen ab. Nun komme ich auf die Therapie zurück. Wir haben uns die Schemata weiter angeschaut und haben geschaut, was bei mir zutrifft. Durch verschiedene Übungen habe ich gelernt, es ein bisschen auszubalancieren. Zum Beispiel habe ich dann versucht, mich in eine Person hineinzuversetzen, die charakterliche Aspekte an mir würdigen soll und damit mein Schema „Ich liebe mich, wie ich bin“ fördern sollte. Eine bekannte Methode waren die Stuhldialoge. Der Ablauf war so: Ich habe mich auf einen Stuhl gesetzt und meine Ängste geschildert und mich dann auf einen anderen Stuhl gesetzt und versucht, meine Ängste auf dem anderen Stuhl zu lassen. Auf dem zweiten Stuhl habe ich versucht, eine therapeutische Rolle einzunehmen. Dabei versuchte ich unabhängig von meinem Schema, mich zu reflektieren und die Schemata aufzulösen. Das war so ein Schlüsselelement in meiner Therapie.
Würden Sie sagen, dass Ihnen die Schematherapie geholfen hat?
Ich finde, es hängt immer noch davon ab, wie die ersten Sitzungen einer Therapie ablaufen. In der Regel sind die ersten Sitzungen für Gespräche gedacht. Man lernt den Therapeuten kennen und ich finde, schon da ist es die Aufgabe eines Therapeuten, zu erkennen, ob die Schematherapie eventuell funktionieren könnte oder nicht. Hier komme ich nochmal auf meine alte Therapie zu sprechen. Da wurde zum Beispiel gesagt, dass ich mich eine halbe Stunde in ein Café setzen und ein Eis essen soll. Bevor Sie fragen: Ja, das habe ich gemacht und gemerkt, dass es funktioniert hat. Durch diese Übung habe ich festgestellt, dass diese Art der Therapie nichts für mich war. Bei der Schematherapie hingegen war es mehr, dass ich mich mit Fragen nach meinem eigenen Wert und meinem beruflichen Werdegang beschäftigte und damit, dass ich durch berufliche Erfolge meinen Selbstwert steigern wollte. Dabei habe ich für mich festgestellt, dass die Schematherapie besser geholfen hat. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es eine individuelle Sache ist. In meinem Fall war die Schematherapie das Richtige. Ich glaube, wenn die Menschen sich mehr um ihren eigenen Wert und ihren Charakter Gedanken machen, ist diese Therapie sinnvoller.
Danke. Zum Schluss würde ich gerne nur noch eines wissen. Vermeiden Sie jetzt Situationen, in denen Ihre Phobie auftreten kann oder stellen Sie sich diesen?
Ich muss dazu sagen, weil bei mir der „Workaholic“- Aspekt mit drin ist, dass ich durch beruflichen Erfolg Anerkennung haben möchte, irgendwo auch dazu getrieben werde, mich in diese Situationen zu begeben und ich muss auch sagen, dass ich diese leichte Nervosität und das leichte Herzrasen als Kick wahrnehme. Ich habe gemerkt, dass ich daran Gefallen gefunden habe und ich mich sehr gerne solchen Situationen aussetze. Ich glaube, dies ist auch ein großer Faktor, warum die Therapie bei mir so gut funktioniert hat. Dennoch versuche ich, mich diesen Ängsten zu stellen, da ich auch selbst verinnerlicht habe, dass es nichts bringt mich 24/7 in einem Zimmer einzusperren und allen Ängsten auszuweichen. Ich habe gelernt, dass man sich mit seinen Ängsten auseinandersetzen sollte. Heute geht es mir aber richtig gut. Ich kann in viele Situationen gehen und weiß, dass ich wertgeschätzt werde für das, was ich beruflich kann und wo ich hinmöchte.
Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und dass Sie auf alle meine Fragen geantwortet haben. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg. Passen Sie gut auf sich auf. Dieses Interview war sehr aufschlussreich und es war ein sehr angenehmes Gespräch. Es ist mir sehr wichtig, andere Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Ich hoffe, dass ich mit dem Beitrag auf dieses Erkrankungsbild aufmerksam machen konnte.
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