Im Gespräch mit Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann über den Darm – Teil 1

Im Gespräch mit Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann über den Darm – Teil 1

Im Gespräch mit Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann über den Darm – Teil 1

Im Gespräch mit Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann über den Darm – Teil 1

Lange Zeit galt der Darm als reines Verdauungs- und Durchgangsorgan. Doch zeigen Forschungen, dass er fast alles in unserem Körper beeinflusst. Es gibt nichts, das nicht direkt oder indirekt mit dem Darm und mit dem, was wir ihm täglich zuführen, zusammenhängt. Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Ärztin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Sie erforscht u.a. die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Darmbakterien und Gesundheit. Genau darüber hat Körperwelten mit ihr gesprochen.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann, Expertin für den Darm

Warum ist der Darm so ein interessantes Organ? 

Der Darm ist ein wichtiges Resorptionsorgan. Unsere Nahrung wird erst verfügbar, wenn der Darm sie verdaut und in kleine Moleküle zerlegt hat. Daneben ist der Darm aber auch ein Immunorgan. 70 Prozent unserer Abwehrzellen befinden sich dort. Ist unser Darm gesund, ernähren wir uns ausgewogen, dann tun wir damit auch unserem Immunsystem etwas Gutes. Zusammen mit Leber und Bauchspeicheldrüse reguliert der Verdauungstrakt Blutzucker- und Blutfettwerte, baut Giftstoffe ab oder macht Medikamente erst wirksam.

Das Spannendste am Darm ist aber die Tatsache, dass er ein unwahrscheinlich artenreiches Ökosystem beherbergt. Wenn wir von einem intakten Ökosystem sprechen, dann denken wir vielleicht an einen unberührten Regenwald, eine blühende Almwiese oder ein schimmerndes Korallenriff. Den wenigsten wird dabei die komplexeste und vielfältigste Lebensgemeinschaft, die wir kennen, in den Sinn kommen, nämlich die der Mikroorganismen, die in uns und auf uns leben. Diese wurden in der Vergangenheit vor allem als „Flora“ bezeichnet und Begriffe wie Darmflora oder Hautflora sind noch geläufig. Heute würde man eher vom „Mikrobiom“ sprechen.  Darunter versteht man die Gesamtheit aller Bakterien, Viren und Pilze einer bestimmten Körperregion, wobei die Bakterien meistens die bedeutendste Gruppe darstellen. Diese Bakteriengemeinschaften finden wir unter anderem im Darm, auf der Haut und auf der Mund- und Genitalschleimhaut. Jedes Mikrobiom ist, wenn es gesund ist, ein einzigartiges und vielfältiges Biotop.

Warum ist das Mikrobiom für uns Menschen so wichtig?

Inzwischen steht fest: Ein gesundes und vielfältiges Mikrobiom ist die Grundvoraussetzung für unsere Gesamtgesundheit. Die Arbeit der Darmkeime geht weit über die Verdauung der Nahrung hinaus. Wenn das Mikrobiom gesund und artenreich ist, dann produziert es zahlreiche Stoffwechselprodukte, die wichtige Aufgaben in unserem Körper übernehmen. Diese Stoffwechselprodukte bleiben nicht im Darm, sondern gelangen über die Blutbahn zu jeder Zelle im Körper. Mit Hilfe von Hormonen, Nervenbotenstoffen, entzündungshemmenden Metaboliten oder im Darm produzierten Vitaminen und Antioxidantien beeinflussen die Darmbakterien jedes Organ unseres Körpers.

Ist die Zusammensetzung des Mikrobioms aber aus der Balance geraten, dann steigt das Risiko für zahlreiche Erkrankungen wie Übergewicht, Bluthochdruck, Krebserkrankungen und Diabetes ebenso an wie für Allergien und Autoimmunerkrankungen. Auch unsere psychische Verfassung sowie die Gesundheit des Nervensystems werden zum Teil über den Darm geregelt. Störungen in der bakteriellen Gemeinschaft leisten Ängsten, Depressionen und geringer Stressresistenz ebenso Vorschub wie neurologischen Erkrankungen. Zusammenhänge sind inzwischen für Parkinson, Multiple Sklerose und Demenz belegt. All diese spannenden Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung lassen den Schluss zu, dass es sinnvoll ist, sich rechtzeitig um eine gesunde Darmflora zu bemühen und diese möglichst langfristig in einem Top-Zustand zu halten.

In Ihrem aktuellen Buch „Gesund mit Darm“ zeigen Sie auf, wie das Mikrobiom Alterungsvorgänge verzögert. Wie funktioniert das?

In Studien stellten Wissenschaftler zunächst fest, dass alte Tiere „jünger“ werden, wenn sie das Mikrobiom junger Artgenossen eingepflanzt bekamen. Alterserscheinungen bildeten sich zurück, sie wurden vitaler und leistungsfähiger und lebten deutlich länger. Inzwischen weiß man, dass auch das Mikrobiom fitter und gesunder hochbetagter Menschen Besonderheiten aufweist, die man bei gebrechlichen Senioren nicht findet. Eine wichtige Entdeckung ist, dass die fitten Alten sich die Vielfalt der Darmflora erhalten konnten. Verliert das Mikrobiom die Artenvielfalt, nimmt die Gebrechlichkeit im Alter zu.

Man vermutet zudem, dass bestimmte Bakterienstämme zur Fitness der Senioren beitragen. Die Geheimnisse der Hochaltrigen heißen Ruminococcus, Eubacterium limosum, Akkermansia muciniphilia, Faecalbacterium prausnitzii oder Christensenella. Diese Bakterien sind bekannt dafür, dass sie verschiedene Metaboliten produzieren, die sich günstig auf Entzündungsprozesse und das Immunsystem auswirken können. Ob man ausreichend von diesen Bakterien im Verdauungstrakt beherbergt oder etwas mehr für die Darmflora tun sollte, lässt sich durch eine Mikrobiomanalyse feststellen.

Wie bei allen Präventions- und Anti-Aging-Maßnahmen gilt auch für die Mikrobiompflege: je früher, desto besser. Störungen der Darmflora gehen nämlich Leistungseinbußen, Alterungsprozessen, vor allem aber auch der Entstehung von Krankheiten oft Monate, manchmal Jahre voraus. Je eher wir also damit beginnen, unser Ökosystem im Verdauungstrakt zu optimieren, desto besser sind die Chancen, dauerhaft von den Wohltaten aus dem Darm zu profitieren.

Sie beschreiben in Ihren Büchern auch eine Verbindung zwischen Darm und unserer Psyche – wie funktioniert das?

Wie wir uns fühlen und was wir denken ist keine reine Kopfsache: Nicht nur das Gehirn, sondern auch unser Darm entscheidet darüber, ob wir optimistisch, konzentriert, gut gelaunt und entspannt durchs Leben gehen oder beispielsweise unter Stress und Ängsten leiden. Die Wissenschaft findet immer mehr Belege dafür, wie eng Darmbakterien und Gehirnzellen zusammenwirken.

Darm und Gehirn stehen über zwei Wege sehr eng miteinander in Kontakt: Zum einen gibt es eine direkte Nervenverbindung, den Nervus vagus, der quasi eine Datenautobahn zum Gehirn darstellt. Er verbindet den Lebensraum der Darmbakterien geradewegs mit den Gehirnzellen. Über diese Standleitung sendet der Darm ständig seine Informationen ins Gehirn. Zum anderen kommuniziert der Darm über Botenstoffe, die von den Darmbakterien und der Darmschleimhaut produziert werden, mit dem Gehirn. Auch auf diesem Weg kann er unser Befinden stark beeinflussen.

Sehr gut belegt sind inzwischen die Zusammenhänge zwischen einer Störung des Mikrobioms und der Entstehung von Depressionen. Depressive Menschen besitzen ein anderes Mikrobiom als Gesunde. Und dass das Mikrobiom tatsächlich für die Depressionen verantwortlich ist, ließ sich durch die Übertragung des Mikrobioms depressiver Personen auf Mäuse zeigen. Innerhalb kürzester Zeit änderte sich deren Verhalten radikal. Plötzlich wurden die bisher unauffälligen Tiere depressiv und scheu, zogen sich zurück und änderten ihr Fressverhalten. Diese Studien belegen, dass sich stimmungsveränderte Mikroben übertragen lassen und das sogar von einer Spezies zur anderen. Das macht eine ursächliche Verbindung zwischen einer Störung der Darmflora und der Entstehung einer Depression recht wahrscheinlich.

Wie lang ein Darm ist und wie dieser in uns aussieht, erfahren interessierte Besucher in den Ausstellungen der KÖRPERWELTEN.

Hier finden Sie den zweiten Teil des Interviews.

 

Dieser Gastbeitrag wurde von Körperwelten verfasst.

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