Die Diagnose einer vorgeblich unheilbaren Krankheit ist ein Schock. Trotzdem erleben viele Hashimoto-Patienten den Moment, in dem all die merkwürdigen Vorgänge im eigenen Körper endlich einen Namen bekommenen, als große Erleichterung. Obwohl in Deutschland nach Schätzungen bis zu 8 Millionen Menschen – überwiegend Frauen – betroffen sind, dauert es vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose oft viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte. Jahre am Limit der körperlichen und seelischen Belastbarkeit, flankiert von quälenden Selbstzweifeln. Wenn der eigene Körper einen unsichtbaren Krieg mit sich selbst führt, sprechen Fachleute von Autoimmunerkrankungen. Eine der häufigsten ist die Hashimoto Thyreoiditis – eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse.
Die meisten Menschen nehmen kaum je Notiz von dem schmetterlingsförmigen Organ an der Vorderseite des Halses, dabei ist die Schilddrüse unsere hormonelle Steuerzentrale und orchestriert durch die fein abgestimmte Abgabe von Hormonen sämtliche Stoffwechselprozesse im Organismus. Ob Wachstum, Knochen, Herzfrequenz, Gedächtnis, Verdauung, – die Schilddrüse steuert, tariert und reguliert. Sie hilft, die benötigte Energie bereitzustellen und auch an unserem emotionalen Gleichgewicht ist die Schilddrüse maßgeblich beteiligt. Wenn man unsere Seele einem Organ zuordnen wollte, dann wäre es wohl am ehesten die Schilddrüse.
Hashimoto Thyreoiditis – der Kampf gegen die Schilddrüse
Was aber, wenn unser Immunsystem die eigene Schilddrüse plötzlich fälschlicherweise als Fremdkörper identifiziert und sie fortan bekämpft, sich also mit immer mehr Antikörpern dem vermeintlichen Feind entgegenstellt? Auf lange Sicht kann die Schilddrüse einen solchen Kampf nicht gewinnen. Sie schrumpft, bildet Knoten und stellt ihre Funktion schließlich mehr und mehr ein. Anfänglich merken wir das vielleicht an Gewichtsschwankungen, wiederkehrender Erschöpfung oder Nervosität. Eine Hashimoto Thyreoiditis beginnt meist mit den Symptomen einer Überfunktion. Die Krankheit verläuft dann in teils heftigen Schüben. In unserem Inneren tobt ein zerstörerischer Krieg mit zunehmend weniger Feuerpausen.
Spätestens jetzt beginnt für viele Betroffene eine oft langwierige Suche nach den Ursachen ihrer Probleme. Wer morgens kaum noch aus dem Bett kommt, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme entwickelt, ständig zunimmt trotz ausgewogener Ernährung und ausreichender Bewegung, wer unter Verdauungsstörungen und Muskelschwäche leidet, für den wird das Leben mehr und mehr zur Höllenqual. Wenn der Check-up beim Arzt keine Klarheit bringt und die TSH-Werte im Blut nicht auffällig sind – was bei einer Hashimoto Thyreoiditis durchaus vorkommt, dann kann am Ende im Arztbefund der vernichtende Satz stehen: „nicht-spezifische körperliche Symptome ohne Befund.“ Das klingt, als würde man sich einbilden, worunter man doch tagtäglich so massiv leidet.
Am häufigsten von Hashimoto betroffen sind Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. Bei etwa 7 % entwickelt sich die Krankheit direkt nach einer Schwangerschaft. Die Symptome werden dann häufig kausal mit der Umstellung auf die neue Lebenssituation verknüpft – Schlafmangel und Stress. Doch mit dem klassischen Baby-Blues hat eine Hashimoto Thyreoiditis nichts zu tun. In vielen Fällen lichtet sich der seelische Nebel nämlich auch nach Monaten oder Jahren nicht, begleitet von gravierenden körperlichen Einschränkungen. Phasen von Nervosität und übermäßigem Schwitzen werden von lustlosen und angstbesetzten Phasen abgelöst. Hinzu kommen Konzentrationsprobleme, Gereiztheit und ein immer dünneres Nervenkostüm. Wen wundert es, dass die betroffenen Frauen in einer solchen Situation irgendwann ganz grundsätzlich an sich zweifeln und sich mit Selbstvorwürfen plagen?
Salutogenese – die Lehre von der Entstehung von Gesundheit
Die Diagnose „unheilbare“ Hashimoto Thyreoiditis kann dann, wie eine längst überfällige Rehabilitation für das ertragene und eben nicht eingebildete Leid wirken. Wie dieser Erkenntnismoment erlebt und verarbeitet wird, hat maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Krankheit. Im Verständnis der Salutogenese, der Lehre von der Entstehung von Gesundheit, sollte jetzt der Blick auf systemische Wechselwirkungen gelenkt werden. Aaron Antonovsky, der Begründer des salutogenetischen Prinzips, beschreibt den Menschen als in einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum lebend. Gesundheit beschreibt er als einen dynamischen Prozess mit gesunden und kranken Anteilen. Krankheit ist dementsprechend ein notwendiger Zustand bei der Anpassung an äußere und innere Stressoren.
Wenn wir verstehen, was mit uns passiert, seine Bedeutung erkennen und uns selbst zutrauen, mit der Situation umzugehen, sind wir in der Kohärenz und akzeptieren, dass menschliches Leben immer mit einem gewissen Maß an Unordnung einhergeht. Wenn wir diese heterostatischen Prozesse aber abwehren, fühlen wir uns dem Schicksal ausgeliefert –unheilbar erkrankt eben. Wir verlieren dann unsere wichtigste Fähigkeit, uns selbst zu erhalten. Dann können wir unser riesiges Potenzial und die nötigen Ressourcen nicht mehr abrufen.
Nach jahrelangem Leid mag man irgendwann vielleicht tatsächlich nicht mehr an eine Verbesserung glauben. Das Etikett „unheilbar“ zwingt uns aber in die Passivität, macht uns zu einem Opfer – lässt Krankheit und Kranke zu einer Ich-syntonen Einheit verschmelzen, bis die Krankheit als Teil der eigenen Persönlichkeit empfunden wird. Es ist wichtig, eine solche Identifikation behutsam und würdigend aufzulösen, weil sie die Betroffenen sonst immer tiefer ins Krankheitserleben hineintreibt. Unser Kohärenzgefühl ist unverzichtbar für das „Gesunde Sein“. Oder – um es mit den Worten von Antonovsky zu sagen: „Wir alle sind, solange noch ein Hauch von Leben in uns ist, in einem gewissen Ausmaß gesund.“
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