Gestalttherapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren entwickelt vom Ehepaar Perls in den 50er-Jahren. Es lädt besonders durch seine lebendige, kreative Art dazu ein, die Therapie als Gruppenprozess mit hohem Selbsterfahrungsteil zu erleben.
„Ach, dass ist also Gestalttherapie“, höre ich oft Klient*innen oder Teilnehmer*innen meiner Seminare sagen. Diese Therapie, die noch immer mit ihrem Namen an eine Methode mit Malen oder Basteln erinnert. Auch theoretische Erklärungen wirken oft eher abstrakt anstatt verständlich. Dabei ist es gar nicht verwunderlich, dass eine Therapie, die aus dem Kopf ins Spüren bringt, erfahren werden muss, um verstanden oder besser erfühlt zu werden. Gerne denke ich hier an das Bild des Apfels. Herzhaft reinzubeißen, um zu erschmecken, zu erspüren, ersetzt niemals den Versuch, Worte für dieses Erlebnis zu finden. Ich würde sogar weitergehen und sagen, woher weiß ich, wie der Apfel für den anderen, die andere schmeckt?
Was also ist nun Gestalttherapie?
Fritz Perls (1893–1970) und seine Frau Lore (1905–1990) entwickeln in den 50ern dieses psychotherapeutische Verfahren. Fritz, Psychiater und Psychoanalytiker, hat selbst in seiner Ausbildung viele Stunden Selbst- und Lehranalyse bei bekannten Schüler*innen Freuds erfahren. Besonders der mangelnde Kontakt zwischen Klient*innen und Therapeut*in und das Graben in der Vergangenheit, die damit verbundene Langwierigkeit der Therapie motivierten ihn, neue Wege zu gehen. Hierbei floßen unter anderem seine Begeisterung für den Zirkus, das Theater, die Gewahrseinsidee des Zen im Hier und Jetzt mit ein.
Lore Perls, Psychoanalytikerin, studierte Gestaltpsychologie, die sich mit der Erforschung der Wahrnehmung und Ganzheit beschäftigt, und war seit ihrer Kindheit der Bewegungstherapie und dem Tanz verbunden.
So verwundert es nicht, wenn ich heute in meiner Praxis, wie schon damals Lore und Fritz, meine Klient*innen dazu auffordere: „Spiel es mir vor!“ oder „Tanze es!“, wenn es darum geht, Empfindungen wieder erfahrbar zu machen, zum Ausdruck zu bringen. Wenn ich es fühlen kann, ist es echt und nicht nur ein Gedanke, um den ich mich ewig drehe.
Und warum jetzt Gestalt? Bevor sie ihre Therapie so nannten, waren noch weitere Namen im Gespräch, wie z.B. die Konzentrationstherapie, was den Bezug zur Wahrnehmung zeigen sollte. Der Begriff Gestalt bezieht sich auf die Ganzheit, Vollendung. So sind es häufig offene Gestalten (Lebenssituationen), die uns am Weitergehen und Wachsen hindern. Nicht selten begegnen uns immer wieder ähnliche Situationen oder Menschen auf unserer Suche, sie endlich abzuschließen, sie zu vollenden. Und dies ist tatsächlich möglich, manchmal im Leben, oft im Traum oder eben in der Gestalttherapie.
Und warum Gestalt als Selbsterfahrung in der Gruppe?
Die Gruppe bietet ein Feld, in dem ich mich als Einzelner erkennen, erleben, ausprobieren und zum Ausdruck bringen kann. Dies vermehrt die Möglichkeiten der Einzeltherapie um ein Vielfaches. Auch Fritz Perls hat zum Ende seines Lebens eine Gemeinschaft gegründet, in der Gestalt leben und lernen möglich war. Und so soll auch unsere Gestaltbegegnung Leben und Lernen möglich machen. Besonders als Therapeutin und Therapeut ist es wichtig, die Erfahrung von innen zu kennen, um Menschen echt und einfühlsam zu begleiten.
Sind die Fragen somit beantwortet? Und in diesem Moment sind wir wieder beim Apfel. Nichts geht über die Erfahrung. Eins steht fest: Die gestalttherapeutische Gruppenselbsterfahrung ist eine Einladung, sich selbst und dieses kreative psychotherapeutische Verfahren kennen zu lernen.
Hier finden Sie alle Informationen zu unseren Ausbildungen zum Heilpraktiker für Psychotherapie:
Dieser Beitrag wurde von Anjee J. Nestroi verfasst. Sie ist Dozentin für das Fachseminar Gestalttherapeutische Gruppenselbsterfahrung in Leipzig.
Kommentar verfassen