Das sind zwei Fragen auf einmal – lass mich von vorne anfangen. Die Schematherapie geht auf Jeffrey E. Young zurück. Er arbeitete mit Patienten, die unter Persönlichkeitsstörungen und chronischen Depressionen litten und stellte fest, dass ihnen mit der kognitiven Verhaltenstherapie nicht gut genug geholfen werden kann. Reden und Nachdenken reicht hier nicht aus. Deshalb entwickelte er in den 1980er Jahren die kognitive Verhaltenstherapie weiter. Er setzte emotional aktivierende Methoden aus anderen Therapierichtungen wie z.B. der Gestalttherapie oder der Hypnotherapie ein und erzielte gute Erfolge damit. Sein Ziel war, Veränderungen nicht nur auf der rationalen Ebene oder beim praktischen Handeln zu erreichen. Er wollte auch Zugang zu den damit verknüpften Emotionen erhalten, um Veränderungen auch auf der Gefühlsebene zu bewirken.
Also nicht nur anders Denken und Handeln, sondern auch anders fühlen?
Genau. Er wollte, dass sich seine Patienten auch besser fühlen! Denn wenn ein Gedanke oder eine Handlung mit einem guten Gefühl verknüpft ist, fällt sie viel leichter.
Außerdem änderte er die Gestaltung der Beziehung zwischen Patient und Therapeut: Er nennt es begrenzte elterliche Fürsorge („limited reparenting“). Diese für damalige Therapeuten neue, offene, zugewandte und fürsorgliche Haltung den Patienten gegenüber schafft Vertrauen und es fällt den Patienten viel leichter, sich auf Veränderungen einzulassen.
Ist dieser Therapieansatz nur etwas für kranke Menschen?
Nein. Wir alle kennen Situationen, die sich alleine mit „richtigem“ Denken oder gutem Willen nicht verändern lassen. Stell‘ dir mal Situationen vor, auf die du immer wieder auf eine besondere Art und Weise reagierst, z.B. indem du explodierst und wütend wirst. Oder du machst dich klein und ziehst dich zurück. Vielleicht strengst du dich auch an und versuchst, immer besser zu werden. Fällt dir etwas dazu ein?
Mir fällt tatsächlich eine Situation ein: Ich sollte eine Präsentation vor Kunden halten und hatte mich sehr gut vorbereitet. Meiner Meinung nach ist es gut gelaufen, der Kunde war zufrieden und ich auch. Am Tag darauf kam mein Chef ins Büro, und hat mir erklärt, dass er mit meiner Präsentation ganz und gar nicht einverstanden war und ich mir unbedingt mehr Mühe geben solle. Mein Auftreten vor dem Kunden sei peinlich gewesen und er wolle das nicht noch einmal erleben! Was genau ihm nicht gefallen hat und was ich anders machen soll, hat er mir nicht gesagt. Ich bekam einen hochroten Kopf und habe vor mich hin gestammelt, dass ich mich bemühen würde. Das war schlimm! Ich würde wirklich gern lernen, besser mit solchen Situationen umzugehen.
Wir könnten nun überlegen, was du TUN kannst – z.B. deinem Chef widersprechen oder dir erklären lassen, was du genau ändern sollst. Oder wie du dich anders vorbereiten kannst und ganz praktisch auf der Handlungsebene bleiben. Da gibt es sicherlich nützliche Ideen!
Oder wir beleuchten deine Gedanken näher, die du in dieser Situation hast. Vielleicht denkst du: „Er hat ja recht, ich bin auch unfähig und es ist kein Wunder, dass ich nicht beim Kunden ankomme.“ Oder du denkst „Ich bin einfach unfähig und zu nichts nütze.“ Vielleicht aber auch: „Lass ihn doch reden, interessiert mich nicht!“ Dann wären wir bei der kognitiven Verhaltenstherapie.
Die Schematherapie geht einen Schritt weiter: Sie bezieht deine Gefühle mit ein und ich frage dich jetzt erst einmal, wie sich das anfühlt, wenn dein Chef so mit dir umgeht?
Wie sich das anfühlt?
Diese Situationen sind nicht schön. Das ist ungerecht und unfair und ich fühle mich absolut chancenlos. Ich weiß wirklich nicht, wie ich damit umgehen soll. Und es zieht mir richtig den Magen zusammen, mein Herzschlag ist ganz schnell und das Blut steigt mir in den Kopf. Oberpeinlich!
Oh ja, das klingt sehr unangenehm! Wenn du darüber nachdenkst – kennst du dieses Gefühl schon von früher, vielleicht aus anderen Situationen?
Ja, da gab es Situationen mit einem Lehrer, da hab ich mich auch so klein und minderwertig gefühlt. Und alles Anstrengen hat nichts geholfen… Dann kam ich nach Hause und meine Mutter hat mich ausgeschimpft, weil ich einen Eintrag im Klassenbuch hatte.
Was hättest du dir denn damals in dieser Situation gewünscht?
Ich hätte mir gewünscht, dass mich meine Mutter mal in den Arm nimmt und tröstet. Und dass sie zu mir hält und auch mal sagt, dass mein Lehrer doof ist und nicht recht hat. Und mir zeigt, dass sie mich liebt, so wie ich bin!
Magst du dir so eine Situation mal vorstellen? Deine Mama nimmt dich in den Arm und tröstet dich. Was sagt sie da?
„Mmm, sie hält mich und streicht mir über‘s Haar und sagt: Der Müller hat doch keine Ahnung von nichts – du bist wunderbar und ich finde dich toll, so wie du bist! Ich hab dich lieb!“
Das fühlt sich gut an und macht ein wohliges Gefühl im Bauch. Und ich bin ein bisschen stolz auf mich, als wäre ich gewachsen.
Meinst du, du kannst dir dieses Gefühl im Bauch bewahren? Und wenn du wieder in eine Chef-Situation kommst, daran denken und das Gefühl aktivieren?
Wenn wir das erreicht haben, dann überlegen wir uns gemeinsam mit dem neuen, wohligen, stolzen Gefühl, wie du in einer konkreten Situation mit deinem Chef reagieren könntest und welche Gedanken dann hilfreich für dich sind…
Das ist ein Beispiel, wie Schematherapie funktionieren kann. Es gibt natürlich unzählige Möglichkeiten und Übungen, die man in der Praxis einsetzen kann. Es geht einfach darum, dass durch eine bestimmte Situation immer wiederkehrende Gefühle, Gedanken oder Handlungsmuster hervorgerufen werden – die Schemata, daher der Name Schematherapie.
Foto: @ Robert Kneschke / fotolia.com
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