Psychoonkologie – Wenn das Leiden gehört werden will: Krebs trifft die meisten Menschen unerwartet und unvorbereitet. Mit einer Inzidenzrate von 500.000 Erkrankten pro Jahr in Deutschland, gehört er nach wie vor zu den häufigsten körperlichen Erkrankungen. Aufgrund der fortschreitenden invasiven medizinischen Behandlungen sank die Mortalität zunehmend in den letzten Jahren. Die sogenannten „Cancer Survivor“ müssen dennoch mit den physischen und psychischen Folgen der Krebserkrankung und Behandlung lernen umzugehen.
Der Bedarf ist groß
„Jeder zweite Krebspatient fühlt sich durch seine Krebsdiagnose belastet und zeigt eine klinisch signifikante Belastung – den sogenannten psychischen Distress, auf“ (Mehnert & Lehmann-Laue 2018). Viele lebensverlängernde Therapien beeinträchtigen die Lebensqualität oder gehen mit Folgeproblemen einher. Die Betroffenen sind erschöpft, traurig oder fühlen sich leer und können schlecht schlafen. Rund 30 Prozent aller Krebspatienten leiden sogar unter schwerwiegenderen psychischen Problemen wie Angst- und Anpassungsstörungen oder Depressionen, die dauerhaft behandelt werden müssen.
Trotz der vielfältigen Versorgungsmöglichkeiten, von der psychoonkologischen Akutversorgung im Krankenhaus, über die psychoonkologische Betreuung in Ambulanzen/Praxen, bis hin zur psychotherapeutischen Versorgung in Beratungsstellen und Psychotherapiepraxen, haben viele Krebspatienten Schwierigkeiten, eine geeignete Unterstützung zu finden. Durch die immer kürzer werdenden stationären Verweildauern und die zunehmenden teilstationären oder ambulanten medizinischen Behandlungen verschiebt sich der psychoonkologische Betreuungsbedarf deutlich in den ambulanten Bereich.
Therapeutische Grundhaltung
Gerade aufgrund der besonderen Lebenssituation der Betroffenen und der massiven Tragweite des Geschehens stellt die Betreuung von Krebspatienten eine besondere Herausforderung für alle dar. Durch die eigene Betroffenheit fällt das Reden über Sterben und Tod oftmals schwer, nicht selten wird es sogar tabuisiert. Angst vor der Konfrontation mit schweren körperlichen Erkrankungen, Entstellungen oder der eigenen Endlichkeit auf Seiten des Therapeuten stellen eine Reihe von Barrieren in der Behandlung von onkologischen Patienten dar. Aber auch mangelnde Kompetenz oder Wissen über die Behandlung von Krebs können Gründe für eine Ablehnung einer psychotherapeutischen Therapie sein.
Mehr zuhören, weniger reden
Von zentraler Bedeutung in der Behandlung von Krebspatienten ist die patientenzentrierte Kommunikation. Patientenzentrierte Kommunikation ist eine Haltung von wertfreier Achtung und Aufrichtigkeit dem Patienten und Angehörigen gegenüber. Authentizität, Empathie und Wertschätzung kennzeichnen eine vertrauensvolle Beziehung. Die Wahrnehmung des Patienten mit all seinen Beschwerden, Sorgen, Bedürfnissen, Werten und Ressourcen verringert deren Ängste, stärkt die Selbstwirksamkeit und schafft eine Vertrauensgrundlage zu den behandelnden Therapeuten. Eine günstige Auswirkung auf die Behandlungszufriedenheit, Entscheidungsfindung, physischen und psychischen Belastungen ist eine Kommunikation, die sich an den aktuellen Bedürfnissen, Problemlagen und Wünschen orientiert. Gerade für die Patienten und deren Angehörige bedeutet die Diagnose Krebs vielfältige Herausforderungen in allen Lebensbereichen.
Angehörige sind Mitbetroffene
Nicht nur für den Patienten selbst bedeutet eine Krebsdiagnose einschneidende Veränderungen, sondern auch für das soziale Umfeld. Durch die Mehrfachbelastung als Unterstützer, Pflegender und Mitbetroffener fühlen sich Angehörige mitunter allein gelassen und unzureichend informiert. Oftmals berichten sie nicht von ihren Belastungen, Zukunftsängsten und fordern wenig Unterstützung ein. Familiengespräche oder Einzelgespräche können hilfreich sein, einen gemeinsamen Informationsstand zu schaffen, Therapieziele zu besprechen oder auch familiäre Meinungsverschiedenheiten zu thematisieren. Angehörige möchten in ihrer Funktion wahrgenommen und gewürdigt werden.
Planänderungen
In den verschiedenen Phasen einer Krebserkrankung können schwerwiegende Änderungen die Behandlung beeinflussen: das Wiederauftreten oder Fortschreiten der Tumorerkrankung, der ausbleibende Behandlungserfolg, die plötzliche Begrenzung der Lebenszeit, aber auch die Hoffnung. Wichtig ist an dieser Stelle die Aufklärung über den Sachverhalt, Rückversicherung über das Verständnis und Verarbeitung der Informationen und der Ermutigung, Fragen stellen zu können.
Buckman und Baile entwickelten das SPIKES-Modell, welches einen Leitfaden für viele Gesprächssituationen darstellt:
- Setting: geeigneten Gesprächsrahmen schaffen
- Perception: Kenntnisstand des Patienten ermitteln
- Invitation: Informationsbedarf des Patienten ermitteln
- Knowledge: Wissensvermittlung
- Exploration: Emotionen wahrnehmen, ansprechen und mit Empathie reagieren
- Strategy: Planen und zusammenfassen
Viele Patienten befinden sich in einem Prozess der schrittweisen inneren Annäherung an die neue Wirklichkeit in deren Tempo. Dies erfordert von allen Beteiligten Geduld und eine höhere Flexibilität, auch den nötigen Respekt gegenüber den Entscheidungen und Überlegungen des Patienten.
Todeswunsch
Gerade bei Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung erfahren die Gespräche über Sterben und Tod sowie ethische und rechtliche Diskussionen um die aktive Sterbehilfe zunehmend mehr Bedeutung. Ziel ist es dann nicht mehr, die Erkrankung zu heilen, sondern die verbleibende Lebensqualität zu erhalten, Leid zu lindern und die menschliche Würde zu achten. Die meisten Patienten möchten über ihr Ableben sprechen. Es bedarf besonderer Aufmerksamkeit und des Bewusstseins für die Bedeutung dieser Gesprächsinhalte, um ein offenes Gespräch über das Thema Sterben anzubieten. Ein aktives Nachfragen über das Bedürfnis nach Information und Gespräch sollte empathisch erfragt werden. Nur weil der Patient dieses nicht selbstständig thematisiert, sollte man nicht davon ausgehen, dass es keines ist. Oftmals erfahren die Patienten dadurch Trost und ein Sicherheitsgefühl, nicht mit dieser Thematik alleingelassen zu werden. Die Äußerung eines Todeswunsches basiert oft darauf, dass der Patient keinen anderen Ausweg aus einer als unerträglich erlebten Situation sieht. Aufgabe des Therapeuten ist mitunter „nur“ das Aushalten des Leidens und einen respektvollen Umgang damit. Dies bedeutet keine Zustimmung zur gewünschten Lebensbeendigung. Eine Identifikation des emotionalen Gehalts des Todeswunsches ermöglicht gezielte Strategien und Maßnahmen.
Eigene Grenzen kennen
Die Behandlung von Krebspatienten gehen unvermeidlich mit eigener emotionaler Beanspruchung einher. Es ist wichtig, seine eigenen Gefühle und Fantasien zu reflektieren, sich seiner negativen Gedanken bewusst zu werden und nicht zu leugnen. Jeder entwickelt unterschiedliche Strategien, sich vor eigenen Emotionen und Ängsten zu schützen. Deswegen ist eine berufsbegleitende Reflexion, z.B. in Form einer Supervision, Teilnahme an Balintgruppen und qualifizierten Fortbildungen ratsam und erforderlich.
Quellen:
- Baile, Buckmann, Lenzi, Glober, Beale, Kudelka (2000). SPIKES – A six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer. Oncologist, 5 (4), 302-311.
- Diegelmann, Isermann, Zimmermann (2020). Therapie-Tools Psychoonkologie. Beltz.
- Muffler (2015). Kommunikation in der Psychoonkologie. Carl-Auer Verlag.
- Mehnert, Lehmann-Laue (2018). Psychoonkologie. PSYCH up2date, 12, 287-302.
- S3 Leitlinien Palliativmedizin (2020): https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/128-001OLl_S3_Palliativmedizin_2020-09_02.pdf
Dieser Beitrag wurde von Enikö Orbán, Geschäftsbereichsleiterin Fachbereich Psychotherapie der Deutschen Heilpraktikerschule Leipzig, verfasst.
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