Ob im Sport, Fitness oder Yoga, der Osteopathie und Physiotherapie oder der chinesischen Medizin: Faszien sind in aller Munde und gewinnen in der Wissenschaft und therapeutischen Arbeit zunehmend an Bedeutung. Im Interview mit Dr. Robert Schleip, Pionier in der Faszienforschung, wird das Sinnesorgan hier deutlich erklärt. Zur Veranschaulichung und zum besseren Verstehen können präparierte Faszien-Exemplare im Berliner KÖRPERWELTEN Museum angeschaut werden. Ab dem 25. November 2021 zeigt das Museum seinen Besuchern zusätzlich einen Ganzkörper-Faszien-Body – eine spannende Entdeckung für alle Interessierten!
Im Interview mit Dr. Robert Schleip zum Thema Faszien
Seine Hauptaktivität ist die Faszienforschung und Entwicklung neuer zuverlässiger Untersuchungsmethoden auf dem Gebiet der klinischen Bindegewebsforschung. Gerne gibt er seine Kenntnisse und Erfahrungen mit Begeisterung in Vorträgen und praktischen Anleitungen in Workshops und Seminaren weiter. Hierbei greift er auch auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung als Lehrer in der Rolfing- sowie Feldenkrais-Methode zurück. Als Autor und Herausgeber hat er an zahlreichen Artikeln für Fachpublikationen, aber auch Fachbüchern mitgewirkt.
Hallo Herr Dr. Schleip, können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Ich leite das Fascia Research Projekt der Universität Ulm und bin zusätzlich Forschungsdirektor der European Rolfing Association. Gemeinsam mit einem Kollegen-Team internationaler Experten bin ich fasziniert von den vielen – und zum Teil überraschenden – Funktionen, die das fasziale Bindegewebe im Körper ausübt sowie den erst seit wenigen Jahren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, diesem ehemals als bloßes Verpackungsmaterial unterschätzten Gewebe mit modernen und exakten Forschungsmethoden auf die Spur zu kommen. Das Ausmaß der Entdeckungen auf diesem spannenden Weg verschlägt mir dabei immer wieder vor Begeisterung den Atem.
Wie kamen Sie zur Faszienforschung? Was hat sie schon immer an dem Thema interessiert und fasziniert?
Ich wurde 1978 als damals einer der ersten Europäer in Colorado in der sogenannten Rolfing-Methode, einer von der amerikanischen Biochemikerin Dr. Ida Rolf entwickelten Tiefengewebsmassage, ausgebildet. Dabei wurden wir immer wieder auf die Faszien als das angeblich wichtigste Gewebe für die Körperhaltung sowie auch für Schmerzen im Bewegungsapparat hingewiesen. Das waren jedoch zum Großteil kluge Vermutungen der Begründerin, mit nur dürftigen wissenschaftlichen Referenzen dazu. Da ich von den Wirkungen der Methode sehr beeindruckt war, mir die damals zur Verfügung stehenden Forschungsarbeiten jedoch nicht genügten, habe ich mich dann nach ca. 2 Jahrzehnten erfolgreicher Lehr- und Praxistätigkeit selbst der Grundlagenforschung auf diesem Gebiet zugewandt. Eine Entscheidung, die ich bis heute nicht bereut habe.
Welche wichtigen Erkenntnisse über die Faszien konnten Sie erforschen?
Unsere Abteilung an der Universität Ulm konnte nachweisen, dass Faszien ihre Steifigkeit aktiv selbst regulieren können, unabhängig von dem Tonus der umgebenden Muskeln. Das hängt mit einer Klasse von Bindegewebszellen zusammen, die man erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckte, und die sich – ähnlich zur glatten Muskulatur der Eingeweide und Gefäße langsam und nachhaltig kontrahieren können. Auch konnten wir nachweisen, dass es eine Verbindung vom autonomen Nervensystem zur Aktivität dieser Zellen gibt. Mit anderen Worten, wie steif die Faszien sind, hängt nicht nur vom üblichen Muskeltonus ab, sondern auch von anderen Faktoren, inklusive der Grundspannung des autonomen Nervensystems.
Was sollte jeder über die Faszien wissen? Welche Rolle spielen sie?
Vielleicht den einfachen Spruch „Wer sich nicht ausreichend bewegt, verklebt.“ Wenn das fasziale Bindegewebe im Alltag vielseitig bewegt wird, bleibt es elastisch und geschmeidig; die Kollagenen Fasern weisen dann an vielen Stellen eine ähnliche Architektur auf wie eine elastische Damenstrumpfhose. Wenn es hingegen nicht ausreichend bewegt wird, beginnt es langsam zu verfilzen; das können wir heute zum Beispiel bei zahlreichen Rückenschmerzen als „vermehrte Adhärenz“ in der großen Lendenfaszie gegenüber der direkt darunter liegenden Rückenmuskulatur mit modernem Ultraschall dokumentieren.
Ist das Training mit der Blackroll wirklich förderlich für Mobilisierung und Regeneration der Muskulatur und der Faszien?
Grundsätzlich ja. So konnten Kollegen von der Hochschule Osnabrück in einer gut gemachten Studie zeigen, dass die Adhärenz der großen Lendenfaszie nach dem Rollen deutlich verbessert wird, mit anderen Worten, dass sie dann geschmeidiger und weniger verklebt ist. Aber wie bei allem, das grundsätzlich gut ist, kommt es auch hier auf die richtige Dosis an, d.h. es gibt immer auch ein paar wenige Anwender, die es schaffen, die Anwendung zu übertreiben. Wer zum Beispiel eine Venenschwäche in den Unterbeinen hat, sollte diese erstmal nur vorsichtig rollen oder sich die korrekte Anwendung in diesem Bereich von einem Experten zeigen lassen.
Dieser Gastbeitrag wurde von Körperwelten verfasst.
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